12. Februar 2024, von Sandra Hohendahl-Tesch

Ein sicherer Ort für geflüchtete Frauen

Migration

Sie fliehen vor Krieg, Armut oder Gewalt. Ein Besuch in der «Herberge für geflüchtete Frauen und Kinder» zeigt, wie wichtig das neue kirchliche Angebot ist.

Quengelnde Laute sind zu vernehmen. Da geht die Tür auf und eine Frau mit einem Baby auf dem Arm betritt den Gang. Sie grüsst mit gesenktem Blick und betritt die Küche gegenüber. Dort steht Isabel am Herd, die gerade einen Tee aufsetzt. Sie bietet auch der jungen Mutter einen an: «Quieres?», fragt sie und fährt dem Baby, das jetzt still ist und neugierig beobachtet, liebevoll über die Wange.

Die Frauen leben in einer Wohngemeinschaft in der Stadt Zürich. «Was sie gemeinsam haben, ist ihre vulnerable Lebenssituation mit Migrations- und Fluchtgeschichte», sagt Andrea Brülisauer. «Nicht selten haben sie Gewalt erlebt – sei es im Herkunftsland, auf der Flucht oder in der Schweiz.» Zusammen mit Milva Unternährer ist Andrea Brülisauer für das von der reformierten Kirche Zürich aufgegleiste Angebot verantwortlich. Die psychosozialen Begleiterinnen kümmern sich um die Frauen und sind mehrmals in der Woche in der Wohngemeinschaft präsent.

Spirale der Gewalt

Die Bewohnerinnen kommen aus aller Welt, Südamerika, Afrika, Afghanistan oder der Ukraine etwa. Sie sind zwischen 20 und 63 Jahren alt, arbeiten in der Pflege, Reinigung oder dem Gastgewerbe – oder sind arbeitslos. Einige kämpfen mit gesundheitlichen Problemen, andere halten sich als Working Poor über Wasser oder warten auf einen Asylentscheid. «Das Spezielle an unserer Zielgruppe ist, dass sie meist auf kein soziales Netz zurückgreifen kann oder nicht weiss, wo sie Unterstützung erhält», sagt Unternährer.

Isabel, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, möchte an diesem grauen Januarmorgen ihre Geschichte erzählen. Sie sitzt jetzt am Tisch mit der dampfenden Tasse vor sich. Es sprudelt nur so aus ihr heraus. Mit 17 sei sie schwanger geworden, migrierte von ihrem Heimatland Peru nach Spanien, wo eine Tante wohnte. Dort arbeitete sie in einer Bäckerei, konnte sich über Wasser halten. Um die Ausbildung ihres Sohnes zu finanzieren, sei sie vor vier Jahren in die Schweiz gekommen. Hier fand sie einen Job als Reinigungskraft. Und geriet an den falschen Mann. «Zuerst war ich glücklich. Er gab mir das Gefühl von Sicherheit.» Doch schon bald habe er begonnen, sie zu demütigen und zu schlagen. Isabel war oft kurz davor, die Polizei zu rufen. Doch er flehte sie an, es nicht zu tun, und versprach, sich zu bessern. «Jedes Mal schlug er fester zu», sagt sie, während Tränen über ihr Gesicht kullern.

Zu wenig Plätze

Isabel traute sich einer Person aus ihrem Arbeitsumfeld an, die aktiv wurde. Die Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft (BIF) vermittelte sie an die Herberge, wo sie seit drei Monaten wohnt. Sie möchte anderen Einwanderinnen Mut machen. «Habt keine Angst, eure Meinung zu sagen und Hilfe zu holen», sagt sie.

Der Aufenthalt ist auf sechs Monate begrenzt. In dieser Zeit werden die Frauen individuell darin unterstützt, ihr Leben zu organisieren, Perspektiven zu entwickeln. Dazu gehört der Gang auf verschiedene Ämter oder Fachstellen. Die Integration in einen Deutschkurs kann ein Thema sein oder berufliche Veränderungsmöglichkeiten. Das Ziel ist es, dass die Frauen stabil und gut vernetzt die Herberge verlassen können, um wieder eigenständig ins Leben treten zu können. Am Anfang steht ein Aufnahmegespräch. Nicht alle finden Unterschlupf: «Besteht beispielsweise die Gefahr von akuter Gewalt, werden sie an ein Frauenhaus verwiesen», sagt Unternährer. Bereits ein Jahr nach Aufnahme des Regelbetriebs zeichnet sich eine grosse Dringlichkeit für das Angebot der Kirche ab. Sieben Frauen mussten im letzten Jahr aus Platzgründen abgewiesen werden.

Positive Bilanz

Die Herberge für Frauen in vulnerablen Migrations- und Fluchtsituationen wird vom Kirchenkreis vier fünf der reformierten Kirche Zürich getragen. Insgesamt stehen neun möblierte Zimmer zur Verfügung. Das Projekt star-­­ tete 2020 als dreijähriger Pilot. Die Bilanz ist positiv: Die Nachfrage nach dem begleiteten Wohnangebot ist konstant hoch. Über freie Zimmer wird regelmässig auf der Website informiert. www.citykirche.ch/herberge