Recherche 14. Februar 2024, von Marius Schären

Selbst im freikirchlichen Bereich umstritten

Freikirchen

In der Stadt Bern gibt es neu eine Wohngemeinschaft der evangelikalen Bewegung Openhouse4cities. Georg Schmid, Leiter der Beratungsstelle Relinfo, über die Hintergründe.

Wie beurteilen Sie Openhouse4cities im Vergleich mit anderen freikirchlichen Bewegungen in der Schweiz?

Georg Schmid: Die Bewegung Openhouse4cities ist eine übergemeindliche, werbend orientierte Organisation innerhalb der neocharismatischen, freikirchlichen Szene in der Schweiz. Wegen der von der Bewegung selbst betonten und geforderten Radikalität ist sie umstritten, auch im freikirchlichen Bereich selbst. 

Können Sie ein Beispiel nennen, wo die Bewegung umstritten ist?

Leider kann ich nicht konkreter werden, ohne Infos zu liefern, welche die Gemeinschaft auf einzelne Personen zurückführen könnte. Dies würde unser Beratungsgeheimnis verletzen.

Die Beratungsstelle Relinfo

Gemäss der eigenen Website «beobachtet und bespricht» die Beratungsstelle «die religiöse Gegenwart mit ihrem verwirrend bunten Angebot». Als evangelische Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen berate sie in allen Fragen, die sich im Zusammenleben mit kontroversen Glaubenshaltungen ergeben. Weiter informiert die Stelle, recherchiert und dokumentiert. Gegründet wurde sie 1963, seit dann wird sie unterstützt von der reformierten Kirche des Kantons Zürich. In den 1990er-Jahren kamen weitere reformierte Kirchen dazu, seit 2014 ist ein Verein Träger der Stelle, und seit 2019 unterstützen sie auch die katholischen Kirchen von Stadt und Kanton Zürich.

Zur Website der Beratungs- und Informationsstelle Relinfo.

Sie ordnen die Bewegung dem «neocharismatischen Glauben» zu. Was heisst das?

Neocharismatisches Christentum geht aus von einer evangelikalen Theologie und verbindet diese mit einem ausgeprägten Glauben an Wunder wie Heilungen, Zungenrede, Prophetien und Befreiungsdienst, also Dämonenaustreibung. Im Gegensatz zum traditionellen Evangelikalismus, der davon ausgeht, dass die Wunder des Neuen Testaments mit dessen Fertigstellung aufgehört haben, glaubt das neocharismatische Christentum, dass sich Wunder biblischen Ausmasses auch heute ereignen, wenn Christinnen und Christen richtig beten, genügend glauben oder heilig leben.

Die Bewegung beruft sich auf die Mottos «simple» (Lebensstil, Glauben und Strukturen sind einfach), «childlike» (auf Jesus vertrauen wie Kinder), «radical» (leben ohne Kompromisse) und «pure» (ohne «Leichen im Keller»). Wie beurteilen Sie diese Prämissen?

Die Verbindung von betont einfachem Glauben – mit «simple» – mit radikaler Nachfolge  kann auf Anzuwerbende faszinierend wirken. Sie findet sich auch in Bewegungen anderer Religionen, die sich zurzeit in der Schweiz ausbreiten, beispielsweise Tablighi Jamaat und Bhakti Marga.

Das zweite Video im Youtube-Kanal der Bewegung ist vom Juli 2014 und erzählt von Openhouse4thun. Es sei ein Arbeitszweig der örtlichen BewegungPlus und vernetzt mit der Evangelischen Allianz Region Thun, heisst es. Die BewegungPlus steht sonst eher für eine gemässigt evangelikale Haltung.

Von Organisationen dieser Bewegung unterscheidet sich Openhouse4cities durch die betonte Radikalität der Nachfolge, so leben die Mitglieder in Wohngemeinschaften zusammen und bringen den Glauben in den Tagesablauf ein.  

Mitglieder werden geschult, wie sie möglichst viele Menschen möglichst schnell und möglichst nachhaltig ins neocharismatische Christentum einführen können.

Openhouse4cities-Leiter Johannes Sieber bietet ferner ein «High Intensity Disciplemaker Training» (hoch intensives Jüngermacher-Training) an, das Interessierte zu «Jüngermachern» trainieren soll. Was steckt dahinter?

Das Disciple-Making-Movement, eine Bewegung innerhalb des neocharismatischen Christentums, vertraut bei der Werbung nicht nur auf Wunder. Vielmehr werden die Mitglieder geschult, wie sie möglichst viele Menschen möglichst schnell und möglichst nachhaltig ins neocharismatische Christentum einführen können. Zu diesem Zweck existieren verschiedene Schulungen, das «High Intensity Disciplemaker Training» ist eine davon. 

Wie beurteilen Sie den Aspekt, dass sich die Bewegung auf die Städte konzentriert und hier gemäss Instagram eine «Glory-Shockwave» auslösen will?

Wunder werden in der neocharismatischen Bewegung schon seit ihrer Entstehung in den Achtzigerjahren auch zur Werbung eingesetzt, so im damaligen Power Evangelism. Die Glory Shockwave steht in dieser Tradition: Durch Wunder soll die Herrlichkeit Gottes spürbar werden und die Menschen zum neocharismatischen Glauben führen.