Recherche 21. Dezember 2018, von Nicola Mohler

Ein Stück wertvoller Zeit im Gepäck

Begegnung

Das kirchliche Projekt «Kultur im Koffer» bringt Abwechslung und Unterhaltung zu Menschen, die ihr Zuhause nur selten verlassen.

Gegensätze wie Sonne und Mond, Gut und Böse, Dialekt und Hochsprache, Gedichte und das Gilgamesch-Epos: Das Gespräch zwischen Marlen Galbrecht und Achilles Schnetzer im Wohnzimmer ist intensiv. Man merkt rasch, hier teilen zwei Menschen ein gemeinsames Interesse: die Sprache. 

Galbrecht und Schnetzer haben sich durch das Projekt «Kultur im Koffer» kennengelernt. Eine Initiative, die verschiedene Berner Kirchgemeinden anbieten. Damit wollen sie Menschen, die ihre Wohnung nur selten verlassen können, im Rahmen von einmaligen oder regelmässigen Besuchen Abwechslung nach Hause bringen. Anknüpfungspunkte sind gemeinsame Interessen wie Musik, Stricken, Reisen, Jassen oder Literatur. So kommen Musikstudenten mit ihrem Instrument im Gepäck und bieten Hauskonzerte an. Andere Freiwillige bringen Jasskarten, Stricknadeln oder ein Fotoalbum von ihrer letzten Reise mit. Marlen Galbrecht hat immer einen Lyrikband mit dabei.

Beide lernen voneinander

Zum ersten Mal besuchte die Sozialgerontologin und Sprachkünstlerin den an Multipler Sklerose erkrankten Philosophen vor einem halben Jahr. Seither treffen sie sich regelmässig einmal im Monat für rund eineinhalb Stunden in der Wohnung von Schnetzer – der aufgrund seiner Krankheit an sein Zuhause gebunden ist.

«Die Besuche von Marlen sind ein Geschenk», sagt der 45-Jährige, der über eine Bekannte vom Projekt erfuhr. Es sei das Beste, was ihm passieren konnte. «Die Gespräche gehen in die Tiefe, und wir lernen beide voneinander.» Bei den Treffen besprechen die beiden auch das Manuskript, an dem Schnetzer schreibt. «Ich bin begeistert von der Freiwilligenarbeit, die hier geleistet wird», sagt er.

Die wichtige Bedeutung eines freiwilligen Engagements spornte Galbrecht an, bei «Kultur im Koffer» mitzumachen: «Sich gegenseitig Zeit zu schenken, hat für mich einen hohen Stellenwert.» Überzeugt am Projekt hat sie, dass dabei Menschen über gemeinsame Interessen zusammengeführt werden. «Ich war neugierig, was aus einer solchen Begegnung alles entstehen kann», sagt Galbrecht.

Kontakt: Franziska Grogg, Kirchgemeinde Petrus, 031 350 43 03, www.kulturimkoffer.ch