Recherche 08. Februar 2024, von Isabelle Berger

Ein Gottesdienst als Party

Kirchgemeinde im Wandel

Ein Elektrogottesdienst in der Berner Markuskirche will Leute ansprechen, denen die traditionelle Form nicht zusagt. Zudem beziehen zwei Schulen das Areal für ein paar Monate.

Am 2. März gibt es in der Markuskirche einen ungewöhnlichen Gottesdienst. Pfarrerin Sonja Gerber und Pfarrer Martin Ferrazzini von der Kirchgemeinde Johannes laden zum sogenannten Tanzmahl, einem Partygottesdienst. Ein Post auf Social Media über einen Elektrogottesdienst in Deutschland brachte die beiden auf die Idee, sowas auch in Bern zu veranstalten. «Wir sind vom Kirchgemeinderat aufgefordert, vermehrt Experimente zu wagen, um unsere Inhalte an die Leute zu bringen», sagt Gerber.

Abendmahl trifft auf Elektromusik

Am Anlass wird es live gespielte Elektromusik geben. Die erste und letzte von drei Stunden tanzen die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher. In der mittleren gibt es ein Abendmahl, und es werden biblische Texte gelesen, untermalt von der Musik. «Es soll eine Party werden, an der Elemente des Gottesdienstes neu erlebt werden können», sagt Gerber. Nach wie vor fühlten sich Leute der Kirche verbunden, fänden aber in den traditionellen Formen keinen Halt. «Wir wollen sie mit ihnen vertrauteren Formen, wie einer Elektroparty, spirituell wieder abholen.» So könnten Inhalte des Glaubens auf zeitgemässe Art wiedergegeben werden. Im gleichen Sinne wird es beim Abendmahl anstelle des gewohnten Brotes und Wein oder Traubensaft auch ein Tapas-Brötchen und ein Getränk auf Traubenbasis geben. «Wir wollen nahe beim Klassischen bleiben, aber es weiter interpretieren.»

Gerber und Ferrazzini freuen sich ganz persönlich auf den Anlass. «Wir beide waren in unserer Jugend und Studienzeit viel im Ausgang, haben getanzt und im Gastgewerbe Geld verdient», sagt Gerber. Sie hätten jetzt beide eine Familie, aber fänden, es sei Zeit, wieder in den Ausgang zu gehen. «Wir hoffen, dass unsere Freude auch auf andere Leute überspringt.»

Schule trifft auf Quartier

Aussergewöhnliches läuft auch sonst im Ensemble Markus. Bevor die Kirche in einen multifunktonalen Raum für Gottesdienste und Anlässe Dritter umgebaut wird, läuft im Februar nach einer ersten Zwischennutzung als Restaurant (siehe Kasten) eine zweite an. Weil der Baustart verschoben wurde und nun für den Sommer 2024 geplant ist, fädelte Marco Ryter, Präsident der Kirchgemeinde Johannes, mit welcher die Markus-Kirchgemeinde fusionieren wird, ein zweites Projekt ein. Durch seine Kontakte gewann der pensionierte Architekt die Berner Fachhochschule (BHF) und die Berufsschule Bern (GIBB) dafür. Unter dem Namen «Blickwechsel» werden diese das Markusensemble während fünf Monaten in Beschlag nehmen. «Wir gehen raus aus unseren Schulen, um an diesem Ort Zusammenarbeitsformen zwischen Schulen, Schülerschaft und der Quartierbevölkerung auszuprobieren», fasst es Urs Heimberg, Professor für Raumplanung und Städtebau an der BFH, zusammen. Er ist zusammen mit Marc Aebersold von der GIBB Co-Verantwortlicher für das Projekt.

Das Restaurant ist Geschichte, das Bistro die Zukunft

Während dreier Monate belebte ein ungewöhnliches Projekt die Berner Markuskirche. Im Rahmen einer Zwischennutzung betrieben die vier Berner Gastronomen Simon Rudaz, Bruno Bucher, Silvan Hug und Martin Schöni dort ein Restaurant (wir berichteten). Vor gut drei Wochen ging das Projekt zu Ende. Auf Instagram drücken die Unternehmer ihre Freude über den «grossen Erfolg» des Projekts aus. Auch Susanne Aeberhard, Präsidentin des Kirchgemeinderats Markus zieht eine positive Bilanz. «Es war eine sehr gute Erfahrung für uns, weil es aufgezeigt hat, was auch noch möglich ist in dieser Kirche», sagt sie. Das mache Mut für weitere Experimente.

Das Ziel für die Markuskirche sei es, ein «Wohnzimmer für das Quartier» zu werden. Insofern soll im Markusensemble dereinst auch ein Bistro eröffnet werden. Dabei wird eine enge Zusammenarbeit mit der Kirche angestrebt. «Wir hoffen sehr, dass wir einen Pächter finden, der Kirche-Sein und Bistro verbinden kann», sagt Aeberhard. Bis zur Eröffnung rechnet sie aber noch mit anderthalb bis zwei Jahren.

Eine Lektion für weitere Projekte nimmt der Kirchgemeinderat aus dem Popup-Restaurant mit: In der Planungsphase gab es Dissonanzen zwischen Kirchgemeindemitgliedern und den Gastronomen über die ungewöhnliche Verwendung religiöser Begriffe in der Werbung für das Restaurant. Eine Aussprache führte denn allerdings zum gegenseitigen Verständnis. «Das hat uns gezeigt, dass wir früher mit den Leuten reden müssen, auch über das Erscheinungsbild», so Aeberhard.

Die Idee für die Zwischennutzung sei spontan entstanden, so Heimberg. Erst seit Anfang Januar stehe fest, dass das Projekt stattfindet. Darum entwickeln sich die Pläne nun rollend. Ein paar Dinge stehen aber schon fest. So werden Dozierende einzelne Lernmodule in den Räumen des Markusensembles abhalten und auch die Quartierbevölkerung zur Teilnahme einladen. Weiter gibt es Podiumsveranstaltungen zu Themen aus Architektur und Städtebau sowie kleine spontane Ausstellungen von Arbeiten Studierender.

Zuerst kehrt aber Mitte Februar Leben in die Gebäude der Kirchgemeinde ein. Einerseits werden sich mehrere Zeichner- und Zeichnerinnenklassen der GIBB-Fachrichtung Architektur einen eigenen Schulraum einrichten, in dem sie jeden Dienstag Unterricht haben werden. Andererseits ziehen BFH-Studierende im Pfarrhaus in eine WG, um ihre Diplomarbeiten dort zu schreiben. «Wir hoffen auf Kontakte und Synergien unter den Studierenden beider Schulen», sagt Heimberg. Im Sommer soll es eine gemeinsame Ausstellung der Diplomarbeiten von Bau- und Planungsberufen geben.

Beschwerden blockieren Weiterentwicklung des Markus-Ensembles

Aktuell läuft ein Verfahren zu Beschwerden gegen mehrere Beschlüsse des Grossen Kirchenrates der Gesamtkirchgemeinde Bern (GKG). Neben einer Beschwerde gegen das Budget für das Jahr 2024 sind die Kirchgemeinden Markus und Johannes von einer Beschwerde gegen einen Kredit für die Entwicklung des Markusensembles betroffen. «Die konkreten Auswirkungen lassen sich erst zum Zeitpunkt des definitiven Entscheides der zuständigen Verfahrensinstanzen bestimmen», gibt Andreas Münger, Abteilungsleiter Bau und Liegenschaft der GKG, auf Anfrage zur Auskunft. Aktuell liegen die Beschwerden beim Statthalteramt des Kantons Bern. Lehnt dieses ab, können die Beschwerden weitergezogen werden. Der für Sommer 2024 geplante Start des Umbaus der Markuskirche ist gemäss Münger aktuell nicht gefährdet. Sollte sich der definitive Entscheid hinauszögern, sei aber mit einer Verschiebung zu rechnen. «Fällt der Entscheid zu Gunsten der Beschwerdeführenden aus, sind die Auswirkungen erheblich, und das gesamte Projekt in seiner heutigen, visionären Form wäre grundsätzlich zu hinterfragen», so Münger.

Die Beschwerde hat zudem Einfluss auf die Enteignung und Übertragung der Gebäude der Kirchgemeinde Johannes ins Finanzvermögen der Gesamtkirchgemeinde. Dieses Vorgehen war vom Grossen Kirchenrat der Gesamtkirchgemeinde wie von den beiden Kirchgemeindeversammlungen Johannes und Markus beschlossen worden. «Die Weiterentwicklung dieses Ensembles kann derzeit nicht plangemäss fortgeführt werden.»

Was das Budget betrifft, können die zwölf Mitgliedskirchgemeinden der GKG momentan nur gebundene und unumgängliche Ausgaben tätigen. Dazu gehören unter anderem der Lohn aller Mitarbeitenden und vertraglich festgehaltene Vereinbarungen, die vor Eintreffen der Beschwerden getroffen wurden.

Neben der BFH und der GIBB sind weitere Institutionen im «Blickwechsel» involviert. Punktuell beteiligt sich mit der Volksschule Nord eine weitere Schule an der Zwischennutzung. Dazu kommen gemäss jetzigem Planungsstand das Theaterfestival «Aua wir leben» und der Verein «Mazay», der sich für Geflüchtete einsetzt. Das Programm entwickle sich aber noch. «Wir möchten auch Vereine und Organisationen aus dem Quartier einbeziehen», sagt Heimberg. Dabei hätten die Veranstaltungen auch nicht direkt mit der Schule zu tun, aber mit jungen Menschen. «Wir stellen uns einen lebendigen Betrieb mit kreativem Austausch und vielen spontanen Begegnungen vor.»