Schwerpunkt 26. August 2020, von Anouk Holthuizen

Wo er überall drinsteckt und warum das Klima Strände bedroht

Sand

Der weltweit zweitwichtigste Werk­stoff steckt in einer riesigen Zahl von Alltagsprodukten. Doch wenn die Meeresspiegel weiterhin steigen, verschwinden kilometerweise Sandstrände.

Und jeder, der diese meine Worte hört und nicht danach handelt, ist einem törichten Mann gleich, der sein Haus auf Sand gebaut hat.
Matthäus 7,26

Rohstoff …

Auf Sand bauen ist eine biblische Metapher. Mit Sand bauen ist Alltag. Dieser Rohstoff ist für zahlreiche Produkte der modernen Gesellschaft elementar: Er steckt in Beton und Ziegelsteinen, in Glas, Lacken und Klebstoffen, in Kosmetika, Mikrochips, Solaranlagen und anderem mehr. Gemäss dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen ist Sand mit 40 bis 50 Milliarden Tonnen pro Jahr nach Wasser der grösste gehandelte Rohstoff – und ein immer stärker gefährdetes Gut. Chi­na verbrauchte für den Bau von Häu­sern, Dämmen und Strassen in den letzten drei Jahren so viel Sand wie die USA in mehr als 100 Jahren.

Da Wüstensand für die Herstellung fester Bauteile zu feinkörnig ist, nutzt man Sand aus Flüs­sen und Meeren, entstanden in Hunderttausenden Jahren. In der Schweiz liefern ihn 500 Kiesgruben, der Abbau ist streng reglementiert, ein starker Mangel zeichnet sich hier noch nicht ab. Im Mai verabschiedete der Bundesrat die «Bodenstrategie Schweiz», die den Bodenabbau stärker schützen soll.

Es gibt zahlreiche Sande, für die In­dustrie ist Quarzsand der wichtigs­te. Er enthält einen hohen Anteil des Minerals Quarz, das durch Was­serabspaltung aus Kieselsäure entsteht und zu den härtesten Naturmaterialien gehört. Quarzsand ist ein Alleskönner. Er hat eine hohe mechanische Festigkeit, ist sehr säu­rebeständig und verfügt über elek­trische Eigenschaften.

Eines der ältesten mit Quarzsand hergestellten Produkte ist übrigens Glas. Es existierte schon 1500 vor Christus und wurde für Schmuck und Gefässe verwendet. Heute ist er in Tausenden weiterer Produkten enthalten. Die Mikroelektronik etwa würde ohne Sand nicht existieren. In einem Handy befinden sich zahlreiche Komponenten, die zur Herstellung Quarzsand benötigen.

Er dient zudem als Füllstoff in Zahnpasta, Gummi, Anstrich- und Poliermitteln. Auch in Papier und Arzneimitteln ist er enthalten. Ausserdem hat er hervorragende Filterfunktionen: Trinkwasser, aber auch industriell gefertigte Getränke fliessen zur Reinigung durch Quarzsande. Und dann wird er auch zur Herstellung von Steingut, Steinzeug, Sanitärporzellan, Boden- und Wandfliesen verwendet. Die Liste ist fast endlos.

(...) der ich dem Meer den Sand als Grenze gesetzt habe, als ewige Schranke, die es nicht überschreiten darf?
Jeremia 5,22

… und Klima

Bis zum Ende dieses Jahrhunderts kön­nte die Hälfte der Sandstrände dieser Welt verschwunden sein. So lautet das Fazit eines Teams der Gemeinsamen Forschungsstelle der Eu­ropäischen Kommission rund um den Wissenschaftler Michalis Vousdoukas. Das Team hat die Satelliten­daten zu globalen Veränderungen der Küstenlinie zwischen 1984 und 2015 ausgewertet. Die Ana­lysen aus dem Jahr 2018 machen einen Erosionstrend deutlich, der mit der Zeit sowie der In­ten­­sität der Treibhausgasemissionen zu­nimmt.

Mehr als ein Drittel der weltweiten Küstenlinie machen Sandstrände aus. Die wichtigen Zonen zwischen den Meeren und dem Landboden er­­füllen nicht nur ökologische Funk­tionen, sondern sind als Erholungsgebiete für viele Länder von hoher wirtschaftlicher Bedeutung. Dass Strände kleiner werden, hat einerseits einen natürlichen Grund, die Erosion; doch die Klimakrise verschärft das Problem massiv.

So skizziert Vousdoukas’ Team zwei Szenarien aufgrund der Daten des Weltklimarates. Im pessimistischen Szenario mit einer Erd­erhitzung von 4,8 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts gegenüber der vorindustriellen Zeit könnte die Hälfte aller Strände bis dahin komplett ver­schwunden sein. Im massvollen Szenario mit einer Erwärmung von 2,8 Grad liesse sich der Rückzug der Strän­de um rund 40 Prozent verhin­dern. Betroffen wären vorab der Osten Nordamerikas, Australien, Süd- und Westasien, die Karibik, Deutschland und Polen.

Die bedrohten Strände liegen vor allem in dicht besiedelten Regionen, weshalb die Folgen besonders gravierend sein könnten: Die Be­woh­ner sind schlechter vor Stürmen und Fluten geschützt, vom Tou­rismus abhängige Länder würden geschwächt. Gute Küstenplanung wie in den Niederlanden kann der Erosion entgegenwirken, doch die wirksamste Massnahme wäre Klimaschutz.