Vom stressigen Bau zu den fleissigen Bienen

Imkerei

Auf dem Dach des Hotels Marriott in Zürich pflegt Ronny Ochsenbein seine Bienenvölker und produziert den begehrten «Zürihonig». 

Der Wind fährt durch die wilde Mähne von Ronny Ochsenbein. Er steht auf dem Dach des Hotels Marriott in der Zürcher Innenstadt. Vor ihm reihen sich mehrere Holzkästen, die den Lebensraum seiner Bienenvölker bilden. Es ist Montagnachmittag  in der letzten Woche im August. 

Vor einem Jahr übernahm Ochsenbein die Imkerei hoch auf dem Luxushotel von Peter Schneider, dem Pionier des «Zürihonig»-Projekts. Heute produziert er den begehrten Stadthonig. Geübt öffnet er einen der Kästen, lässt den beruhigend wirkenden Rauch aus dem Smoker über die summenden Insekten ziehen. Sogleich versammeln sich die Arbeiterinnen auf den Futterwaben. Vorsichtig hebt er die Waben heraus, eine nach der anderen, und sucht nach der Königin, die er zuvor mit einem grünen Punkt markiert hat. «Jedes Mal, wenn ich die Königin finde, ist es wie ein kleiner Sieg», sagt Ronny Ochsenbein zufrieden. 

Eine Begegnung mit Folgen

Jeder Griff sitzt. Während er emsig wie ein Bienchen den Prozess verrichtet, strahlt er Zufriedenheit und tiefe Gelassenheit aus – kaum vorstellbar, dass Ochsenbein vor einigen Jahren noch im hektischen Baugewerbe arbeitete, wo er Rollläden reparierte und montierte. «Der ständige Zeitdruck und die Vielzahl an Kunden haben mich zermürbt», erinnert er sich. Druck und Erschöpfung führten zu einem Burn-out. 

Auf einem abgelegenen Bauernhof im Zürcher Oberland fand er Ruhe und konnte sich von der hektischen Gesellschaft zurückziehen. Hier kam er zum ersten Mal mit Bienen in Kontakt – eine Begegnung, die seine Sicht aufs Leben grundlegend verändern sollte. 


«Früher hielt ich Bienen lediglich für nützlich, weil sie Honig liefern, während andere Insekten nur lästig waren», erzählt Ochsenbein. «Dabei spielen alle Insekten eine wichtige Rolle im grossen Ganzen.» Er deutet auf eine Wespe, die gerade am Eingang eines Bienenstocks schwirrt und sich wohl verirrt hat. «Viele wissen nicht, dass Wespen auch bestäuben.» Biodiversität ist für ihn, der früher noch jedes Unkraut mit Gift bekämpft hätte, inzwischen zu seinem Lebensmotto geworden. 

Spiegel der Seele

Heute ist der 41-Jährige Vollzeitimker. Zweimal in der Woche pendelt er von Schönenberg, wo er wohnt, nach Zürich, um nach seinen etwa 400 000 Bienen zu sehen. Obwohl sich ihr Honig gut verkaufen lasse, reiche sein Einkommen nicht aus, um eine Familie zu ernähren. Seine Frau arbeitet Vollzeit, was die finanzielle Basis sichere. 

«Gemeinsam ist man immer stärker», sagt Ochsenbein. Bienen haben für ihn auch in dieser Hinsicht Vorbildcharakter. «Allein sind sie nicht lebensfähig, daher unterstützen sie sich gegenseitig.» Jedes Frühjahr beginnt das Bienenvolk von Neuem, baut sich auf und wächst – ein Zyklus, der Ochsenbein immer wieder neu begeistert und seine Weltsicht prägt. «Man muss sich selbst nicht allzu wichtig nehmen.»

Vom Hoteldach aus geniesst er eine atemberaubende Aussicht über die Limmat, die Stadt bis zum Uetliberg. «Hier oben haben die Bienen klare Vorteile», erklärt er. In der Stadt finden sie ein vielfältiges Nahrungsangebot, das in ländlichen Gegenden oft fehlt, da die Wiesen dort regelmässig gemäht werden und es weniger Blühpflanzen gibt. Der städtische Raum bietet jedoch eine Fülle an Pflanzen, weniger Monokulturen, was sich positiv auf Qualität und Menge des Honigs auswirkt. 

Dass er ab und zu gestochen wird, stört Ochsenbein nicht. Bienen seien ein Seelenspiegel: «Wenn ich gestresst bin, spüren sie das und attackieren mich.» Das Imkern erfordere Ruhe und Achtsamkeit – beides steht ihm geradezu ins Gesicht geschrieben.