Die Verletzlichkeit spürbar machen

Inklusion

Im Rahmen der Aktionstage Zukunft Inklusion stellen derzeit Kunstschaffende ihre Werke in der Predigerkirche aus. Zudem wird ein inklusiver Gottesdienst gefeiert.

Die Künstlerin Sandra Buholzer ist von Vögeln fasziniert, für sie symbolisieren sie Freiheit. Jeder Vogel, den sie malt, ist einzigartig in Form und Farbe. Specht, Rotbrüstchen, Flamingo: Sandra Buholzer betont, dass ihre Darstellungen keine Fantasiegebilde sind, sondern nach realistischen Vorbildern entstehen.

Die Kraft der Symbole

Derzeit ist ihr Werk, das im Atelier der Zürcher Eingliederung entstanden ist, im Rahmen der Ausstellung «Kunst und Inklusion» in der Zürcher Predigerkirche zu sehen. Fünf weitere Künstlerinnen und Künstler, die mit einer Beeinträchtigung leben, präsentieren dort seit der Eröffnung am 16. Mai ihr Schaffen.  Zum Beispiel Thierry Bouvard. Der Epileptiker und Autist, der im EPI-Wohnwerk lebt, hat eine ausserordentliche Begabung, fotografische Motive in einem unmittelbaren Zeichnungsvorgang auf Papier zu übertragen. Oder Ariane Gähler aus dem Kunstatelier der Klinik in Rheinau, die vielfältige spirituelle Symbole wie Kreuze, Kerzen und Kelche minutiös festhält.

Verbriefte Rechte

Anlass für die Ausstellung sind die vom kantonalen Sozialamt und von der Behindertenkonferenz Kanton Zürich organisierten Inklusionstage. Dieses Jahr finden sie erstmals schweizweit während vier Wochen bis zum 15. Juni statt.  Die Zürcher Landeskirche beteiligt sich mit zahlreichen Veranstaltungen. Die Behindertenrechtskonvention der UNO gilt in der Schweiz seit 2014, das Behindertengleichstellungsgesetz besteht seit 2004.  Beide Regelwerke haben das gleiche Ziel: Sie wollen die Menschenrechte und die Grundfreiheiten von Menschen mit Behinderungen fördern, schützen und gewährleisten.

Die Kirche spiele hier eine wichtige Rolle, indem sie Raum und Platz für Begegnungen schaffe, betonte an der Vernissage in der Predigerkirche der für Diakonie und Soziales zuständige Kirchenrat Dominik Zehnder. Insbesondere an Pfingsten gehe es ja um den Geist, der uns geschenkt wurde. «Nicht Beeinträchtigung sei das Thema, sondern Talent und Gabe.»

Kuratorin Veronika Kuhn machte in ihrer Eröffnungsansprache darauf aufmerksam, dass Kunst, die in den Werkateliers entsteht, in der Öffentlichkeit bis anhin noch kaum wahrgenommen werde. Zwar würden Institutionen Tage der offenen Tür veranstalten, doch ausserhalb der Einrichtungen komme es selten zu einem Austausch. So ist in der Kunstgeschichte die Rede von «Kunstschaffen in Assistenz», «Outsiderkunst» oder «Art brut». «Alle Begriffe widerspiegeln den Prozess der Suche nach erweiterten Bezeichnungen», so Kuhn. Bis heute befinde sich die Fachwelt in diesem Prozess. Museen und Galerien reagierten zunehmend aktiv auf diesen wichtigen Kunstbereich. «Und eben auch die Kirche, das freut mich sehr», erklärte Kuhn.

Botschaft ohne Worte

Herz der Ausstellung ist die Installation der Schweizer Bildhauerin Maja Thommen. 13 grosse weisse Kelche sind im Kirchenraum verteilt. Jeder hat eine eigene, reliefähnliche Oberfläche. Sie sollen als Symbole für Leiden, Schmerz und Wandlung stehen, wie sie von Jesus Christus im Abendmahl dargelegt wurden. Die Zahl 13 erinnert an die zwölf Jünger in ihrer jeweiligen Individualität, der 13. Kelch an Jesus.

«Damit verweist die Künstlerin auf den Menschen von heute, der in seiner persönlichen Verletzlichkeit und in der Fähigkeit zum Wandel angesprochen wird», erläutert Kuratorin Kuhn. Ganz ohne Worte transportierte der gehörlose Pantomime Rolf Ruf diese Botschaft und begeisterte an der Vernissage damit das Publikum.