Recherche 20. November 2017

Abendmahl ohne Weissbrot

Essay

Der Aargauer Ethiker und Theologe Thomas Gröbly wünscht sich in der reformierten Kirche einen bewussteren Umgang mit dem Abendmahlsbrot.

Das Brot beim Abendmahl ist oft kastenförmiges Industriebrot, weiss und ohne inneren Wert, ohne Geschmack und ungesund. Deshalb darf einmal die Frage gestellt werden: Warum wird das in reformierten Kirchen überhaupt verteilt? Kirchliche Mitarbeitende sind schliesslich Spezialisten für Symbole und Symbolhandlungen. Brot und Wein stehen für das Fleisch und Blut Jesu, für seine Botschaft der Liebe und der Gemeinschaft. Doch vom Getreidekorn werden die Haut und der Keimling entfernt. Es bleibt nur der Mehlkörper.

Weissbrot galt lange als Inbegriff von Luxus und Wohlstand. Heute wissen wir, dass es ungesund ist, weil Vitamine, Mikronährstoffe und Ballaststoffe entzogen sind. Der Keimling enthält wichtige Fette und die Haut dringend notwendigen Ballaststoff für eine gute Verdauung. Viele Leute reagieren auf Gluten allergisch. Ein Grund dafür ist, dass der heutige Weizen mit einem hohen Glutenanteil gezüchtet wurde, damit das Brot in möglichst kurzer Zeit aufgeht – und Grossbäckereien effizient arbeiten können. Das Beste, was das Getreide zu bieten hat, verfüttern wir Kühen und Schweinen.

Brot im rechten Winkel. Das Abendmahl hat Symbolcharakter, und ich wünsche mir, dass wir in der Kirche bewusst mit dem Symbol Brot umgehen. Weisses Abendmahlsbrot steht für unser industrialisiertes Ernährungssystem. Was zusammengehört, wird getrennt. Was wir für die Gesundheit brauchen, wird Tieren verfüttert. Dass dem Weissmehl künstlich Vitamine beigefügt werden, ist Teil der industriellen Logik und nur ein kleiner Trost. In den Grossbäckereien werden zumeist noch Konservierungs- und Triebmittel hinzugefügt. Oder es wird dunkel gefärbt, um vorzutäuschen, es sei Vollkornbrot. Sogar die lokalen Bäckereien backen nicht alle mit Korn, Salz, Wasser und Hefe. Sie beziehen industriell aufbereitete Mehle. Fürs Abendmahl dient oft Toastbrot in Kastenform. Als ob man der Natur den rechten Winkel und unsere Ordnung aufzwingen müsste.

Der Ernährungsindustrie vorgelagert steht in der Regel eine industrialisierte Landwirtschaft. Mit riesigen Mengen fossilen Energien werden Nahrungsmittel «produziert». Von «Produktion» muss man leider schreiben, denn es sind Industrieprozesse mit Standardisierung und Rationalisierung, in denen Getreide und letztlich unser Brot als Ware behandelt werden. In industriellen Prozessen werden die Dinge zuerst auseinandergenommen und nachher wieder zusammengefügt. Bei der Produktion eines Backofens mag das sinnvoll sein, beim Brot nicht. Brot kann man nicht produzieren, denn Getreide und Brot, das Mittel zum Leben, sind keine Produkte und keine entseelte Waren, sondern ein Geschenk Gottes und der Natur. Wenn ich nun diesen Charakter zeigen will, ihn real zum Wein reiche und symbolisch einbette, muss ich mich den Prozessen rundum widmen und mich für eine gute Symbolik entscheiden. Das Abendmahl steht für die Gemeinschaft und Liebe.

Brot ist ein Gemeinschaftswerk. Getreide und Brot entstehen nur durch die tatkräftige Mitarbeit von Regenwürmern und anderen Bodenlebewesen, durch Symbiose mit andere Pflanzen, durch tierischen Dünger, durch die geduldige Züchtung von Bauern seit Tausenden Jahren, aber auch durch Müller und Bäckerinnen. Es ist ein Gemeinschaftswerk, das im Idealfall sorgsam arbeitet. Getreide sollte ohne Pestizide und Kunstdünger angebaut werden. Und schön wäre es, wenn alles in Kirchturmdistanz geschehen würde: nicht weiter weg, als man von der Spitze des Kirchturms sehen kann. Brot als Symbol der Gemeinschaft zeigt sich in den direkten Beziehungen zu allen Lebewesen, die zu seiner Entstehung beigetragen haben. Es sind letztlich Beziehungen zwischen Menschen und zwischen Mensch und Natur, auf die es ankommt und die uns enkeltauglich und zukunftsfähig werden lassen. Warum das Abendmahl nicht bewusst neu einbetten und zum starken Symbol werden lassen?

Vielleicht ist es an der Zeit, sich über das Abendmahl in der reformierten Kirche viel grundsätzlicher Gedanken zu machen. Warum nicht am Tag davor gemeinsam mit Jugendlichen oder Erwachsenen das Korn mahlen, die Hefe ansetzen, den Teig kneten, ihm Zeit zum Aufgehen lassen und backen? Welche Symbolkraft hätte das im Vergleich zum Kastenweissbrot?

Thomas Gröbly, Theologe, Dozent für Ethik, Inhaber des Ethik-Labors in Baden und Referent der Ökumenischen Kampagne 2018