Recherche 30. Januar 2021, von Rita Gianelli

Bündner Synode diskutiert über neues Schutzkonzept

Schutzkonzept

Die Bündner Landeskirche erarbeitet für ihre Angestellten und freiwilligen Mitarbeitenden ein Konzept zum Schutz vor Grenzverletzungen und sexueller Ausbeutung.

An wen wendet sich die Religionslehrerin, wenn der Kollege anzügliche Bemerkungen macht? Wo findet der Jugendliche Hilfe, wenn die Lagerleiterin ohne Aufforderung sein Zimmer betritt? Bisher gibt es keine offizielle Instanz für solche Fragen. «Das Ziel ist, eine Anlaufstelle zu schaffen, an die sich Betroffene wenden können», sagt Miriam Neubert, Pfarrerin in Bonaduz und Verantwortliche für das Konzept Prävention von Grenzverletzungen und sexueller Ausbeutung.

Erste Informationen dazu erhalten die Bündner Pfarrpersonen während ihrer Arbeitssynode im Februar. Zwei Fachleute von Limita, der Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung in Zürich, sprechen mit den Synodalen via online-Seminar über Nähe und Distanz in Alltagssituationen. «Die Prävention von Grenzüberschreitungen und der Schutz vor sexuellen Übergriffen muss auch auf  Gesetzes- oder Verordnungsstufe verankert sein», fordert Projektleiterin Miriam Neubert.

In der Schweiz hat bereits die Hälfte der reformierten Landeskirchen ein Schutzkonzept eingeführt. Dies auch im Rahmen der Umsetzung der «Pädophilen-Initiative», aufgrund der seit 2019 ein lebenslängliches Arbeitsverbot für pädophile Sexualstraftäter gilt.

Schutz für alle

Das Bündner Schutzkonzept basiert auf den sechs Bausteinen der Handlungsempfehlungen der Evangelischen Kirche Schweiz (EKS). Diese beschreiben zum Beispiel, wie Fachpersonen geschult werden oder wie eine Intervention abläuft. Diese ist genau definiert: Schildert eine betroffene Person einer Vertrauten ein Vorkommnis, kann diese – mit dem Einverständnis der Betroffenen – das Vorkommnis an die Anlaufstelle weiterleiten. Die Anlaufstelle klärt ab, ob tatsächlich eine Straftat erfolgt ist, zum Beispiel Drohung, körperliche Gewalt oder psychischer Druck. Die beschuldigte Person kann freigestellt werden, bis die Abklärungen abgeschlossen sind. Wenn keine strafbare Handlung vorliegt, kann eine Mediation vereinbart oder ein Verweis ausgesprochen werden. Neubert betont dabei den all­gemeinen Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermutung: «Auch Beschuldigte sollen Schutz erhalten. Eine Freistellung eines Mitarbeitenden ist noch keine Schuldzuweisung.» Denn die Definition von Grenzverletzung sei für jeden Menschen anders. Im Grundsatz ist eine Grenzverletzung immer ein Missbrauch von Vertrauen und das Ausnützen von Abhängigkeitsverhältnissen. Manchmal wird den Betroffenen selbst erst nach einer Weile klar, dass bei ihnen Grenzen überschritten wurden. Gefühle von Verwirrung oder Angst müssen Betroffene niederschwellig und unverbindlich, das heisst also auch anonym, ansprechen können. Deshalb soll die geplante Anlaufstelle in der Region verankert und mit ­einer Fachperson besetzt sein.

Kooperation möglich

«Der Kanton richtet im Bereich Polizei – sowie in der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB – nicht zuletzt seit der Vorfälle rund um den Whistleblower Quadroni – entsprechende Meldestellen ein», sagt Neubert. Noch ist offen, ob eine Zusammenarbeit mit dem Kanton Graubünden allenfalls infrage kommen würde. Um die Integrität der Mitarbeitenden besser kontrollieren zu können, braucht es eine periodische Überprüfung. Zum Beispiel mit einem regelmässig vorzuweisenden Sonderprivatauszug. Dieses Dokument zeigt an, ob bei einer Person ein gericht­­li­ches Urteil mit einem Tätigkeits- oder Kontaktverbot vorliegt.

Klare Haltung

Neubert könnte sich vorstellen, dies auch auf kirchliche Angestellte, Behördenmitglieder und freiwilligen Mitarbeitenden auszuweiten. «Es soll jetzt proaktiv vorwärtsgehen», sagt Miriam Neubert, die, nicht zuletzt nach den Vorkommnissen des ehemaligen EKS-Präsidenten Gottfried Locher (Ausgabe 7+8/20), nun Nägel mit Köpfen machen will. «Damit wollen wir als Kirchenrat ganz klar unsere Haltung kommunizieren: die Nulltoleranz gegenüber Grenzverletzungen aller Art.»