Ich darf wohl sagen, es ist eines der bestgehüteten Geheimnisse, die je von einer Generation zur anderen weitergegeben wurden. Von Mutter zu Tochter, die weibliche, weitverzweigte Linie unserer Familie kennt es ausnahmslos. Hunderte dürften wir inzwischen sein, und jede von ihnen hat es geschafft, ein kleines Gewürzgärtchen anzulegen, wo sie gerade wohnt – im Nebenbeet eines Bauernhofs, neben dem dauergemähten Rasen einer Villa, oder auch wie ich in einem Töpfchen auf den zwei Quadratmetern Nutzbalkon in einer Mietruine. Am Tag meiner Hochzeit mit C. wurde ich von meiner Mutter eingeweiht, wie wir alle. Sie gab mir ein Säckchen mit dem schon zubereiteten Pulver und das Zettelchen mit der Rezeptur.
«Es ist ja schön zu zweit, aber manchmal will man seine Ruhe», erklärte sie mir. Und dann helfe dieses Pulver. Eine Prise in ein Getränk gerührt eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen, und er schläft wie ein Klotz. Am besten, man macht aus dem Getränk ein Ritual für jeden Abend, dann kann man mal ja, mal nicht, nach Belieben.
«Und welches Getränk?», fragte ich sie. «Nichts Klares. Nicht Wasser oder Limonade, darin sieht man’s. Kein Alkohol, da wird er schon genug bechern, das unterstützen wir nicht.»
«Saft?», fragte ich.
«Naja, aber wer trinkt jeden Abend Saft? Ich schwöre auf Milch. Hat mir gute Dienste geleistet. Hast du nicht gemerkt, dass dein Vater früher immer noch sein warmes Milchlein hatte vor dem Schlafengehen? Heute braucht’s das nicht mehr. Aber das tut jetzt nichts zur Sache.»
Ja, Milch tut den Job. Ich kann es bestätigen. Ich brauche es gar nicht so oft, aber wenn, dann merkt er nichts, und das Pulver – ich darf sagen, meine Experimente zur Verstärkung der Wirkung haben Früchte getragen. Ein, zwei Minuten, und C. ist weggetreten, woanders als im Bett darf man ihm das Zeug gar nicht mehr reichen, so schnell wirkt das.
Aber seit einiger Zeit krieg ich ihn abends eh kaum mehr zu sehen. Er kommt nicht vom Spielen los, verzockt das Geld, das wir nicht haben, und nimmt Schulden auf bei Schulze. Bei Schulze! Und dann kommt es, wie es kommen muss. Beim ersten Mal zertrümmern drei von Schulzes Leuten unser Mobiliar. Das wenige, was wir haben. Beziehungsweise hatten. Beim zweiten Mal treten sie ihn halbtot. Ich zittere nur noch, will ausziehen, aber wohin? Ich schäme mich zu sehr, um irgendjemandem zu erzählen, in welche Scheisse ich mich geritten habe mit diesem Mann.