Recherche 01. Dezember 2021, von Rita Gianelli

Der Samichlaus mit der Klimamission

Umwelt

Einst führte er ein halbes Dutzend Bars im Churer Rotlichtviertel. Heute konzentriert sich Markus Balzer auf seine bevorstehende Klimareise und seine Arbeit als Samichlaus.

St. Nikolauskapelle von Samichlaus

Im Olmischen Kober, der letzten Kneipe ausgangs Welschdörfli, sitzen vor allem Stammgäste. Politiker, Zahnärzte, Pensionäre und Angestellte, viele sind Freunde von Markus Balzer, den alle kurz Balz nennen. Das Olmische Kober, der Name verrät es, ist auch ein Treffpunkt für Jenische: «Eine Koberei ist eine gemütliche Knelle», sagt Balz, der selber jenisches Blut in seinen Adern hat, «‹Olmisches Kober› meint etwa ‹beim alten Wirt›.»

Seit bald zwanzig Jahren führt der Churer die Beiz, die früher ein Bordell war. Zwar hat er die Koberei inzwischen seiner Partnerin übergeben, trotzdem steht er täglich noch hinter dem Tresen. «Als Wirt kann ich sagen, was ich denke», sagt Balz, der 22 Jahre Geschäftsführer mehrerer Clubs im Rotlichtviertel im Churer Welschdörfli war. An der getäferten Wand hängen Jagdtrophäen, Steinbockgeweihe. Das Täfer stammt aus der Kapelle St. Niklaus in Passugg, dem Wohnsitz von Balz. «Du heiligs Verdiana», rutscht es einem der Arbeiter am Stammtisch aus, als er hört, dass Balz’ Heim ein Gotteshaus war.

Wohnen in der Kapelle
Tatsächlich prangt noch immer ein grosses Kreuz an der Wand des zweistöckigen Giebeldachgebäudes, dessen Geschichte ebenso schillernd ist wie die von Balz. Einst als Pferdestall genutzt, dann zum Tanzsaal umgebaut und schliesslich als Gebetsraum gebraucht, weil es für die katholischen Gläubigen Anfang des 20. Jahrhunderts keine Kirche gab, ist es heute in Privatbesitz.

Balz kaufte es vor drei Jahren einem Malermeister ab, der dort sein Material gelagert hatte. In der ehemaligen Mesmerwohnung im oberen Stock wohnt Balz’ Sohn. «Mein Reich ist die einstige Kapelle St. Niklaus, wie es sich für einen echten Samichlaus gehört», sagt er und gibt ein raues Lachen von sich.
Seit er 18 ist, ist er «freischaffender» Samichlaus, wie er betont, also nicht im Auftrag eines Vereins. Seine Mission dabei: «Die Kinder sollen wissen, dass sie den Samichlaus nicht fürchten müssen.» Gleichzeitig will er sie für den sorgsamen Umgang mit der Natur sensibilisieren. «Das eher, damit es auch die Eltern hören», sagt Balz und zündet sich eine Zigarette an.

Motiviert dazu hat ihn die Jugend. «Mich beeindruckte stark, wie entschlossen die Jugendlichen und Kinder gegen die Zerstörung der Natur und für den Klimaschutz auf die Barrikaden gingen.» Sie will er unterstützen und hat folgenden Plan: Am 1. April startet er mit seinen zwei  Eseln Millo und Aron auf eine Klimareise nach Stonehenge, im Gepäck zwei Liter Quellwasser aus Passugg, die er am Ärmelkanal ins Meer leert. Als Zeichen gegen Verschmutzung von Weltmeeren und Flüssen und als Opfergabe an die Sonne. Denn rechtzeitig zum längsten Tag des Jahres will Balz mit seinen Eseln die Sommersonnenwende im englischen Stonehenge feiern. Aber nicht mit den Tausenden, die dafür jährlich dorthin pilgern. «Im Wald, auf einem Hügel, das wird mein ganz persönliches Geschenk an Millo und Aron.»

Vom Saulus zum Paulus
Für Balz ist der Wald «der Hüter der Seelen». Schon als Kind streifte er mit seinem Vater durch die Wälder auf der Suche nach Wild. Ein Jäger ist Balz geblieben, «ich jage alles, was sich jagen lässt». Nur nicht Gämsen. «Denn sie sind die Wesen der saligen Frauen», sagt der gelernte Forstwart. Diese alpinen Sagenwesen, die in den Felsen- und Gletscherhöhlen wohnen, sind für ihn, wie auch schon für den Vater und die Grossmutter, wichtige Schutzgeister. Sie helfen ihm, mit seiner Krankheit zu leben, denn: «Sie muten mir immer grad so viele Schmerzen zu, wie ich auch ertragen kann.» Balz hat Krebs. Diese Diagnose habe ihn buchstäblich vom Saulus zum Paulus verwandelt, sagt Balz. Während er früher mehrere Tage hintereinander Partys feierte, rührt er heute keinen Tropfen Alkohol mehr an. «Dreimal bin ich dem Tod vom Karren gesprungen», erzählt er und denkt, dass er das auch seiner Sportlichkeit verdanke. Er war ein guter Schwinger, machte Karate und gelegentlich Freistilringen.

Wichtige Tradition
«Der Balz ist ein Guter», sagt die junge Frau, die jetzt am Stammtisch Platz nimmt, während Balz hinter dem Tresen schmutzige Kaffeetassen in die Maschine räumt. Solche wie ihn müsste es mehr geben, doppelt ihr Freund nach. Er wollte mit Balz die Klimareise antreten. Corona machte ihnen aber einen Strich durch die Rechnung. Balz setzt sich zu den beiden und winkt einem Mann, der vor dem Fenster steht, zu. Der hält einen gefüllten Kehrichtsack in die Luft und grinst. «Er sammelt Bierbüchsen», erklärt Balz, «ein voller Sack reicht für drei Tage Fressen für meine Esel.»Vergangenes Jahr wollte Balz den Samichlaus-Umhang für immer an den Nagel hängen. «Manche Eltern scheinen nicht zu wissen, welche Bedeutung diese Tradition für Kinder hat», sagt er, nur so erkläre er sich das Desinteresse, mit dem sie seinen Besuchen oft begegneten. Dann erreichte ihn ein Brief, per Post. Ein Junge erkundigte sich, wie es ihm, dem Samichlaus, und Millo gehe, ob er es streng habe. Da war Balz klar: «Solange ich kann, werde ich als Samichlaus im Dienst der Kinder unterwegs sein.»

www.millos-reise.ch