Recherche 30. Mai 2022, von Constanze Broelemann

"Frauen leisten viel unbezahlte Arbeit"

Gendergerechtigkeit

Im Rahmen der Missionssynode treffen sich Frauen aus verschiedenen Kontinenten zum Stadtgespräch. Sie erzählen, was es bedeutet, in Asien, Afrika oder Europa Frau zu sein.

Wie ist das Leben für Frauen in Indonesien und in der Schweiz? Wo erleben sie genderbasierte Benachteiligung oder gar Gewalt?
Ira Imelda: Für gewöhnlich haben Frauen in Indonesien nur einen einfachen Grundschulabschluss. Wenn sie nicht verheiratet sind, haben sie Probleme, finanziell auf eigenen Füssen zu stehen. Also heiraten viele Frauen, sind schlecht ausgebildet und erleben häusliche Gewalt. Oder sie gehen als Arbeiterinnen ins Ausland nach Saudi-Arabien oder Malaysia, kennen die Sprache nicht und sind Gewalt ausgesetzt.
Barbara Heer: Frauen in der Schweiz sind in extrem unterschiedlichen Lebenssituationen. Es macht einen Unterschied, ob ich Migrantin bin, weisse Schweizerin in der Stadt oder Bäuerin auf dem Land. Zum Beispiel sind immer noch 70 Prozent der Frauen, die in der Schweiz in der Landwirtschaft arbeiten, ohne Lohn und nicht sozial versichert. Viele Frauen leisten zudem immer noch den grossen Teil der unbezahlten Arbeit, also Kinder und Haushalt, und haben dann keine oder eine ungenügende Altersvorsorge.

Welche Formen von Gewalt er­leben Frauen in Indonesien  und in der Schweiz?
Ira Imelda: Sexuelle Gewalt, häusliche Gewalt, Menschenhandel und internetbasierte Gewalt, die besonders während der Lockdowns in der Corona-Pandemie noch zugenommen hat. Bei Letzterem werden die Social-Media-Profile der Frauen gehackt und ihr Profilbild auf den Körper einer anderen Frau retouchiert. Anschliessend wird das als Pornografie verkauft. Oder die Ehemänner filmen ihre Frauen heimlich und verkaufen das.
Barbara Heer: Sexuelle Belästigung ist in der Schweiz immer noch stark verbreitet. Gemäss einer Studie des Meinungsforschungsinstitutes GFS Bern hat die Mehrheit der befragten Frauen über 16 Jahre das erlebt. 12 Prozent der Befragten wurde  eine Vergewaltigung angetan. In den sozialen Medien erleben viele Frauen, die auch in der Öffentlichkeit stehen, massiv mehr genderbasierte Gewalt als Männer.

Wie stark ist Ihre Gesellschaft patriarchal strukturiert?
Ira Imelda: Auf dem Land verstehen die Familien ihre Töchter als Eigentum und verheiraten oder verkaufen sie sehr jung, um zu Geld zu kommen. Leider verhindert der fundamentalistische Islam, dass Frauen in Führungspositionen kommen.
Barbara Heer: Unsere Gesellschaft bewertet männlich konnotierte Tätigkeitsbereiche höher als weibliche. Sichtbar ist das an den Löhnen. Gymnasiallehrer zum Beispiel verdienen viel mehr als Kindergärtnerinnen, und in dem Bereich arbeiten meistens Frauen. Insbesondere Betreuungsarbeit wird also gegenüber dem Unterrichten abgewertet und schlecht bezahlt.

Was brauchen Frauen, um ihr Leben zu verbessern?
Ira Imelda: Gerade hat die Regierung ein Gesetz verabschiedet, das sexuelle Gewalt bestraft. Ein Fortschritt, denn viele Parteien wollten das Gesetz nicht mit der Begründung, Feminismus gehöre nicht zur indonesischen Kultur. Ausserdem können viele Frauen auf dem Land keine E-Mails schreiben und haben kein Handy. Da ist viel Nachholbedarf.
Barbara Heer: Hier in der Schweiz haben wir kaum Bildungsunterschiede zwischen Frauen und Männern. Es sind eher die Strukturen, die es Frauen schwer machen, sich beruflich zu etablieren. Die Teilzeitarbeit müsste für Männer besser akzeptiert werden. Dass Männer auch bereit sind, einen grösseren Anteil der unbezahlten Betreuungsarbeit zu übernehmen. In der Schweiz haben wir enorm hohe Arbeitszeiten mit 42 Stunden pro Woche. Das ist ausgerichtet auf jene Menschen, die nicht noch zu Hause unbezahlte Arbeit leisten müssen. Da bleibt für kein Ehrenamt mehr Zeit.

Wie erreichen Sie die Frauen?
Ira Imelda: Mit Menschen anderer Religionen und NGOs fahren wir in die Dörfer und treffen Frauen, wenn sie sich zum «Pengajan» treffen. Das ist ein Ritual, bei dem Frauen zusammenkommen, um den Koran zu studieren. Im Gespräch versuchen wir an die Frauen heranzukommen und sie dann vorsichtig über ihre Rechte aufzuklären.
Barbara Heer: In unserer Bildungsarbeit für die Kirchgemeinden oder in den Schulen sensibilisieren wir die Menschen für die Themen zur Gendergerechtigkeit. Unser Fokus ist zwar weltweit, aber wir verknüpfen dabei die Lernerfahrungen im Ausland mit denen im Inland.