Recherche 04. Mai 2021, von Constanze Broelemann, Rita Gianelli

Ohne Mesmerinnen und Mesmer läuft wenig

Kirchenberuf

Bei jedem Gottesdienst sind sie beteiligt. Sie pflegen die Kirchen, betreuen technische Anlagen und sind Drehscheibe zwischen Gemeindegliedern, Mitarbeitenden und Besuchern.

«Ich wollte mehr unter die Leute»

Mesmerin in der Kirche von Scharans. Zu der Aufgabe kam die 33-Jährige wie die Jungfrau zum Kinde. «Ich wollte wieder mehr unter die Leute», sagt sie. Die Mutter zweier Töchter hatte lange als Polizistin gearbeitet und ihren Job wegen der Familie dann vorerst mal an den Nagel gehängt. «Aber nur daheim, das ist mir zu eintönig», sagt sie. Dann sah sie das Inserat und hat sich gemeldet. Die Aufgabe als Mesmerin lässt sich gut mit ihrem Familienleben kombinieren. Ausserdem könne sie als «Zugezogene» mit dem Kirchendienst ihr Beziehungsnetz aus­bauen. Für Keller hat das Gesamtpaket gepasst. Überhaupt jemanden zum Mesmern zu finden, werde aber immer schwerer, ist sie sich sicher. So gebe es bereits einige Kirchgemeinden, die den Dienst auslagern. Am meisten Freude macht Marina Keller das Dekorieren der Kirche mit Blumen. Aber auch das Reinigen gehört zu ihren Aufgaben. Währenddessen spielen ihre Mädchen nebenan auf dem Spielplatz und ihr Mann hilft schon mal in der grossen Kirche. «Ein Familienprojekt», sagt sie und lacht. Sie hat jetzt gesehen, was für ein Aufwand es doch ist, so einen Gottesdienst vorzubereiten.
Jeden zweiten Sonntag hört Keller berufsbedingt Predigten. Vor ihrer Tätigkeit ging sie selten in die Gottesdienste. Nun ist sie positiv überrascht, dass sowohl Pfarrpersonen als auch Kirchenbesuchende angenehm «normale» Leute seien. Damit meint sie, dass die Menschen nicht extrem religiös seien. Das gefällt ihr. Kellers Tochter hört bei den Predigten ganz genau hin. Jetzt muss Mama auch genau lauschen, um die Fragen des Kindes später zu beantworten.

«Mir gefällt die Ruhe bei der Arbeit»

Mit 55 Jahren krempelte Ueli Jeck­lin sein Leben noch einmal um. Der Grund war ein Stelleninserat in der Zeitung. Die Kirchgemeinde Chur suchte einen Mesmer. «Zum ersten Mal nahm ich an einem Bewerbungsgespräch teil», erzählt der Landwirt und Zimmermann.
Kurze Zeit später zog er fort vom Einfamilienhaus in Fideris in einen Wohnblock in Chur und gab noch die letzten seiner Ehrenämter ab; er war Zivilschutzkommandant, Samariterlehrer, Konsumgenossenschaftspräsident und Chormitglied. «Das löste ein kleineres Familienerdbeben aus», sagt er und drückt den Knopf der Kaffeemaschine im Foyer der Comanderkirche in Chur. Das war vor vier Jahren. Seither wirkt Jecklin in der Comander- und der Regulakirche in Chur als Mesmer. «Ein Traumjob», findet er und erinnert sich an seine ersten Einsätze vor zwanzig Jahren im Ehrenamt in Fideris. Das Mesmern in der Dorfkirche war für ihn immer ein Ausgleich zum Alltag. «Mir gefällt die Ruhe bei dieser Arbeit.»
Nebst den Kirchenräumen unterhält er Säle, Grossküche, sanitäre Anlagen, Gartenumschwung, Treppenhäuser und ein Parkplatzareal. In der Oster- oder Weihnachtszeit gibt es für ihn schon mal 60-Stunden-Wochen. Doch tauschen würde Jecklin, der früher Allrounder bei der Gemeinde war und später im Baumaterialienhandel arbeitete, nie mehr. Er ist hier sein eigener Chef und kann Ideen einfliessen lassen. Die hölzernen Krippenfiguren hat er selbst geschnitzt und bemalt. Einmal legte er in der Kirche ein Gartenbeet an, rundherum einen selbst gezimmerten Gartenzaun, als Dekoration fürs Erntedankfest. «Eigentlich habe ich ein Hobby zum Beruf gemacht.»