Recherche 19. September 2017, von Daniel Klingenberg

Eine Kanzel auf Reisen

Kirche

Die St. Galler Reformierten schicken eine Kanzel auf die Reise. Besteigen darf sie, wer den Wunsch hat, mit einer Predigt die Welt zu verändern.

Ein Gottesdienst ist wie ein Dreh auf einem Filmset. Oder, etwas weniger zugespitzt gesagt: Predigt und Kunst haben vergleichbares. Besonders befruchtend für die Predigtarbeit sind «bewegte» Künste wie Theater und Film. Wie ein Regisseur seine Schauspieler auftreten lässt, inszeniert der Prediger Motive der Bibel.

Dazu braucht es ein Bühnenbild: Für eine Predigt gehört die Kanzel prominent dazu. Zwar ist diese Inneneinrichtung der Kirchen etwas aus der Mode gekommen, denn im 21. Jahrhundert ist Belehrung «von oben herab» unbeliebt. Das «Netzwerk Junge Erwachsene» der St. Galler Kirche entdeckt nun aber die Kanzel in einer spielerischen Form neu. Für das Reformationsjubiläum baut eine Gruppe von «Millenials», wie diese Altersgruppe heisst, eine mobile Kanzel. Darauf predigen sie an verschiedenen öffentlichen Orten kurz, prägnant und verständlich. Die Auftritte werden professionell gefilmt, und sind ab Mitte 2018 in mehrminütigen Videoclips zu sehen.

Ein Kanzel für alle. Die 29-jährige Elian Bösch hat für das Projekt «Endlich auf der Kanzel!» ein befristetes Zehn-Prozent-Pensum. Ein Team ehrenamtlicher junger Erwachsener unterstützt sie. Ab Oktober wird die Kanzel hergestellt, bis im Dezember soll die Gruppe der Kanzelrednerinnen und -redner beieinander sein.

Was muss man mitbringen, um dabeizusein? «Den Wunsch, endlich sagen zu können, was sich in dieser Welt verändern muss», sagt Elian Bösch. Denn wie die Reformation vor 500 Jahren eine grundlegende Erneuerung wollte, sollen rund zwanzig junge Erwachsene von der mobilen Kanzel aus ihre Reformationsbotschaft von 2017 der Welt mitteilen. Aufmerksamkeit soll das Kanzelprojekt nicht mit bekannten Namen wecken, sondern mit ungewöhnlichem Inhalt. «Wir wollen nicht Prominenz auf der Kanzel, sondern Leute, die sonst keine Bühne haben.»

Politisch korrekt. Welche Ideen erwartet Elian Bösch als «Reformationsbotschaft 2017»? «Unser Projekt ist ein Gruppenprozess», sagt die Primarlehrerin, die schon in weiteren Anlässen Glaube und Kunst zusammengebracht hat. «Wir arbeiten mit dem, was aus der Gruppe in der Vorbereitung kommt.» Im Inhalt sind die «Millenials» frei, die Kanzelrede muss aber innerhalb von «Political Correctness» stattfinden.

Auch Elian Bösch steigt möglicherweise auf die Kanzel, eine Botschaft hat sie jedenfalls bereits parat. «Die Reformation ist eine Bildungsbewegung, weil sie den Zugang zur Bibel für alle Menschen schafft. Das bedeutet für heute: Wir müssen gleiche Bildungschancen für Flüchtlinge und teilweise politische Mitbestimmung von Ausländern schaffen. Und unsere Kirche muss den Menschen am Rand der Gesellschaft eine Heimat geben.»

Auf der grünen Wiese. Die Herstellung der Videoclips macht eine darauf spezialisierte Firma, wofür ein Grossteil des 25’000-Franken-Budgets eingesetzt ist. Bis es «Film ab» heisst, ist viel zu entscheiden: zum Beispiel die Wahl der Auftrittsorte. Das kann die «Shopping-Arena» in Winkeln oder der Marktplatz in der Stadt St. Gallen sein. Der Filmdreh soll Passanten einbeziehen und kann auch zu einer Performance werden. Aber die Kanzel kann auch mal auf einer weiten und leeren grünen Wiese im Toggenburg oder Rheintal stehen.

Der Weg auf die Kanzel

Die Anmeldefrist für «Endlich auf der Kanzel!» läuft bis 15. Dezember 2017. Wer mitmachen will, sollte zwischen 25 und 35 Jahren jung sein und Lust haben, seine Ideen zur Veränderung der Welt auf der Kanzel vorzutragen. An zwei Drehtagen im März und Juni 2018 entstehen maximal vier Videoclips mit rund zwanzig Kanzelrednerinnen und -rednern. Die Clips stehen den Kirchgemeinden und der «digitalen Community» in den sozialen Netzwerken zur Verfügung.