Recherche 30. Juni 2021, von Constanze Broelemann

«Wir versprechen etwas sehr Grosses»

Ordensschwester

Wie lebt es sich als Frau im Kloster? Die Priorin des Klosters St. Johann im Val Müstair gibt Antworten. Eine Frau, die schon früh eine weitreichende Entscheidung gefällt hat.

Schwester Aloisia, wie fiel Ihr Entscheid, ins Kloster zu gehen?

Aloisia Steiner: Schon als junge Frau sah ich die Klosterfrauen von St. Johann gern, die in der Nähe meines elterlichen Hofes lebten. Dann konnte ich dort im Kloster mal als Aushilfe  im Gästebereich arbeiten, kam mit den Schwestern ins Gespräch, machte Chorgebete mit, und insbesondere der gemeinsame Gesang berührte mich. Mit achtzehn Jahren fiel mein Entschluss, ins Kloster zu gehen. Dieser Wunsch hat mich nie mehr losgelassen.

Wie reagierte Ihr Umfeld auf Ihren Wunsch?

Meine Familie war nicht begeistert. Sie brauchten mich auf dem Hof. Damals war ich mit 18 nicht volljährig, also wartete ich. Aber auch diese Zeit des Wartens war wertvoll.

Und als es dann so weit war, wie haben Sie sich vorbereitet?

Dem Eintritt geht eine lange Probezeit voraus, in der man sich selbst prüft und geprüft wird, ob dieses Leben das richtige für einen ist. Bei mir folgte nach einem halben Jahr die Einkleidung, dann ein einjäh­riges Noviziat und die dreijährige Profess. Heute bin ich Priorin, und ich sage Ihnen, jeder Tag ist anders.In einer solchen Gemeinschaft muss man lernen, seine Wünsche zugunsten einer Gemeinschaft zurückzunehmen. Die Frage ist immer, was ist gut für die Gemeinschaft, und nicht, was ist gut für mich. Natürlich kann es bei uns auch zu Disharmonien mit kleineren und grösseren Verletzungen kommen. Aber vor Sonnenuntergang sollten die wieder bereinigt sein. Zum Beispiel mit einem «tut mir leid».

Haben Sie Ihren Eintritt ins Kloster je bereut?

Nein, nie. Es ist etwas sehr Grosses, was wir da versprechen. Unser einziges Ziel ist es, nichts Christus vorzuziehen. Wir stehen dazu und auch zur Regel des heiligen Benedikt. Wir müssen fähig sein, in dieser Gemeinschaft von neun Schwestern friedlich zu leben.

Wie sieht in Ihrem Kloster ein typischer Tag aus?

Unsere Tage sind eingeteilt in Gebet und Arbeit, wobei die Arbeit den Gebetszeiten angepasst wird und nicht andersherum. Das erste Gebet ist um 5.30 Uhr, Herzstück ist das Gotteslob mit Eucharistiefeier. Wir haben hier im Kloster einen Spiritual, einen eigenen Priester, der aber auch Vorträge und Gespräche anbietet. Das Wort aus der Bibel gibt uns Licht und Kraft.

Und die Arbeit?

Es muss ein grosser Haushalt von uns Schwestern geführt werden. Dann haben wir ein Gästehaus, das gepflegt werden will. Hinzu kommt die ganze Administration und die Arbeit in unserem grossen Klostergarten. Dort haben wir aber zusätzlich auch Angestellte, denn die Arbeit darf unsere Gebetszeiten nicht beeinflussen.

Haben Sie neue Interessentinnen für ein Leben als Ordensschwester?

Derzeit gibt es eine Frau um die fünfzig, die sich seit einem Jahr für ein Leben bei uns interessiert. Sie wird ein Probejahr bei uns machen, um zu sehen, ob es wirklich das Richtige für sie ist. Ansonsten sind wir zwischen 90 und 58 Jahren alt.

Dieses Jahr feiert die Schweiz fünfzig Jahre Frauenstimmrecht.Ist Ordensschwester sein eigentlich eine zeitgemässe Lebensform für eine Frau?

Gerade jetzt immer noch, würde ich sagen. Denn wir entscheiden uns ganz frei für diesen Weg. Unsere Weiterbildung ist die hauseigene Klosterbibliothek und das Angebot in anderen Klöstern. Das inspiriert uns. Wir sind versorgt, aber bringen uns nach unseren Fähigkeiten ein. Bildung sehe ich auch als Charakterbildung, als Stärkung, in der Gemeinschaft miteinander zu leben. Wir versuchen einander zu ehren. Jetzt als Priorin habe ich ja weitere Aufgaben, die ich sehr ernst nehme.

Vermissen Sie etwas im Kloster?

Nein. Mein Klosteralltag ist sehr reichhaltig. Ich habe alles. Manche Dinge sind vielleicht für den Moment schön, nehmen aber bloss Zeit weg, die man für Gottes- und Nächstenliebe verwenden kann. Wir verzichten auf Familiengründung und können auch nicht überall dabei sein. Wir haben uns entschieden, in der Nachfolge Christi zu leben. Das heisst nicht, dass wir nicht selbst denken. Aber wir schauen, ob unser Handeln im Sinne Christi ist.

Frau Priorin, was, denken Sie, fehlt Menschen heute?

Ich denke, vielen fehlt heute der Mut, ein Versprechen zu geben. Der Mut, klare Entscheidungen zu treffen, und auch der Mut, Unangenehmes, aber Wahres mitzuteilen. Ausserdem sollten wir immer wieder bewusst Danke und Bitte sagen. Das finde ich ganz, ganz wichtig.

www.muestair.ch

Aloisia Steiner, 70

Die gebürtige Südtirolerin ist in Taufers im Münstertal (Italien) aufgewachsen. Dort besuchte sie die Volksschule und half auf dem ­elterlichen Hof mit. Später nahm sie ­eine Saisonstelle im Gastgewerbe an. 1981 trat sie ins Kloster St. Johann im bünderischen Teil des Münstertals ein. Sie ist Priorin der neun Benediktinerinnen.