Recherche 31. Dezember 2020, von Rita Gianelli

Erika Cahenzli-Philipp will nahe bei den Menschen sein

Kirchenrat

Ab dem 1. Januar steht zum zweiten Mal in der Geschichte eine Frau der reformierten Bündner Landeskirche vor. Zehn Fragen an die neue Kirchenratspräsidentin Erika Cahenzli-Philipp.

Warum engagieren Sie sich für die Kirche?
Erika Cahenzli-Philipp: Die Kirche vertritt eine menschenfreundliche und sinnstiftende Botschaft, die mich überzeugt. Sie setzt sich ein für das Wohl der Menschen unabhängig ihres gesellschaftlichen Status.

Welches sind Ihre Schwerpunkte?
Mir ist der persönliche Kontakt mit den Menschen wichtig, diesen will ich pflegen. Ich werde so viele Kirchgemeinden wie möglich besuchen. Zu den Aufgaben der Landeskirche gehört es, die Menschen vor Ort, zu entlasten und zu stärken, da müssen wir investieren.

Welchen Stellenwert hat der Religionsunterricht für Sie?
Er gehört zur Stundentafel unserer Volksschule. Das muss so bleiben. Wir müssen die Religionslehrpersonen bestärken in der Beziehungspflege mit der Schule, dazu gehört auch, mal an der Kaffeepause im Lehrerzimmer teilzunehmen.

Welche Rolle soll Ihrer Meinung nach die Bündner Landeskirche in der Gesellschaft einnehmen?
Als Kirche sollten wir uns immer wieder fragen, was die Menschen beschäftigt. Wir müssen sie wahrnehmen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten. Dazu brauchen wir Angebote, welche die Menschen anregen, sich den Sinnfragen zu stellen, da hat die Kirche Kompetenzen. Ein Beispiel ist der Gottesdienst.

Sind Gottesdienste zeitgemäss?
Unbedingt. Ich vergleiche sie mit ­einer Tankstelle, wo ich Energie für die kommende Woche tanke.

Sie besuchen demnach regelmässig Gottesdienste?
Ja, einmal im Monat sicher. Es gibt mir eine gute Rhythmisierung für den Alltag.

Lesen Sie die Bibel?
Die Bibel lasse ich mir gerne in ­einer guten Predigt näher bringen. Selber besitze ich eine Bibel des Theologen und Religionspädagogen Hubertus Halbfas. Seine Interpretationen in Verbindung mit Wissenschaft und Kunst mag ich sehr.

Was wollen Sie gegen den Pfarrmangel in Graubünden tun?
Graubünden kämpft allgemein mit einem Fachkräftemangel. Nicht nur die Kirche. Die Kirche kann aber punkten mit attraktiven Arbeitsbedingungen. Die Kirchgemeinden in Graubünden sind überschaubarer als jene im Kanton Zürich oder Aargau. Die Pfarrpersonen können so näher bei den Menschen sein. Wir haben gute Mietbedingungen, bieten ein Sabbatical an nach sieben Jahren und mit dem Vaterschaftsurlaub von zwanzig Tagen sind wir fortschrittlicher als manches Unternehmen in der Privatwirtschaft.  

Soll Kirche politisch sein?
Was ist nicht politisch in unserem Leben? Ich glaube, das Evange­lium als Ganzes hat eine politische Komponente. Jesus hat sich immer gegen bestehende Strukturen gewehrt, wenn sie zum Nachteil der Schwächeren waren. Aber die Kirche soll keine Abstimmungsparolen herausgeben. Ihr Tun soll das Fundament sein, auf dem ihre Mitglieder sich autonom, mündig eine eigene Meinung bilden können.

Während der Coronazeit erwarten viele Menschen eine präsente Kirche. Von der Bündner Landeskirche hört man nichts.
Die Landeskirche arbeitet seit jeher eng mit dem Staat zusammen und wir halten uns an die verordneten Massnahmen. Aber ja, bei gewissen Themen sollte Kirche besser vernehmbar sein. Ich denke an die Schliessungen von Altersheimen. Wir dürfen die Menschen nicht vereinsamen lassen. Da muss Kirche lauter werden.

Erika Cahenzli-Philipp, 56

Die gelernte Primarlehrerin aus Untervaz ist SP-Grossrätin, Gemeinde­rätin und seit 17 Jahren Kirchgemeindepräsidentin. Die vierfache Mutter ist Mitglied im Organisationskomitee der Freiwilligenorganisation «Bahnhöfli+», welche sich für die Unterstützung und Integration von geflüchteten Menschen einsetzt. Ihre Freizeit verbringt sie gern im Maiensäss.