Recherche 25. September 2020, von Rita Gianelli

Im Tal der Kirchen funktioniert Volkskirche besonders gut

Zusammenarbeit

In Andeer arbeiten Kirche und Politik Hand in Hand. Mit ein Grund, weshalb sich im Schamsertal Ideen gut umsetzen lassen.

Gundi Demarmels und Hans-Andrea Fontana machen sich Sorgen. Ein unterirdischer Dachsbau bedroht die Grabstätten auf dem Friedhof der reformierten Kirche in Andeer. Die Kirchgemeindepräsidentin und der Gemeindepräsident beraten auf der Steinbank vor der Kirche, wie sie das Problem gemeinsam lösen sollen. Der Friedhof gehört der politischen Gemeinde, wie auch der Kirchturm. Die Kirchgemeinde besitzt das Kirchenschiff. «Diese Besitzverhältnisse zeigen, wie abhängig wir voneinander sind», sagt Hans-Andrea Fontana. Der gelernte Hufschmid ist seit acht Jahren Gemeindepräsident von Andeer. Er bezeichnet sich als nicht sehr fleissigen Kirchgänger, aber als mit der kirchlichen Tradition stark verwurzelt. «Kirche spielt in der Gesellschaft eine grössere Rolle als gemeinhin angenommen», sagt der BDP-Politiker. Er nimmt wahr, dass die Menschen im Dorf gern die Seelsorge beanspruchen oder die Kirche zur Einkehr nützen. «Was die Kirche tut, hat auch Auswirkungen auf die Politik», glaubt er. Fontana erinnert sich an die Flüchtlingskrise im Herbst 2015. Praktisch von einem Tag auf den anderen mussten im Dorf über 140 Geflüchtete untergebracht werden. Während die Gemeinde Unterkünfte besorgte, richtete die Kirchgemeinde ein Begegnungszentrum ein. «Sogar unsere Gegner lobten später dieses gemeinsame Vorgehen.» Eine gemeinsame List hätten sie aber anwenden müssen, gesteht Fontana. «Wir haben sehr kurzfristig informiert. Für Diskussionen blieb einfach keine Zeit.»

Religiöse Bildung sichern

«Kirche und Gemeinde haben hier immer gut zusammengearbeitet», betont auch Kirchgemeindepräsidentin Gundi Demarmels. Das mag an der Grösse des Dorfes liegen, in dem jeder jeden kennt, in dem der Pfarrer Mitglied der Feuerwehr ist und der Gemeindepräsident den Sonntagsgottesdienst besucht. Die Bäuerin und ausgebildete Hauspflegerin hat mit 53 Jahren noch eine Zusatzausbildung zur Fachangestellten Gesundheit absolviert. Zehn Jahre arbeitete sie im regionalen Pflege- und Alterszentrum, in dessen Leitungsgremium auch die Kirche vertreten ist – das wollte die politische Gemeinde so. Ebenso beim regionalen Schulverband, in dem Gemeinde und Kirche  einen Zweckverband gründeten, um den kirchlichen Religionsunterricht an der Volksschule zu sichern. Dass sie nach 20 Jahren Vorstandsarbeit noch 5 Jahre als Präsidentin dranhängte, hat auch mit dem verlässlichen Partner auf politischer Ebene zu tun. «Wir haben dort immer ein offenes Ohr für unsere Anliegen und Ideen.» Selbst die vom Dorfpfarrer initiierte Idee der Autobahnkirche findet heute breite Unterstützung in der Bevölkerung. Kritikern hält der Gemeindepräsident entgegen, dass dieses «Leuchtturm-Projekt», wie er es nennt, die Region kirchlich und touristisch neu beleben werde.

Ein Lift zur Kirche

Dankbar und stolz ist Gundi Demarmels auf den Kirchenlift, der die Anlagen auf dem Kirchenhügel für alte und gehbehinderte Menschen wieder zugänglich macht. Der Gemeindepräsident liess extra ein Kirchensymbol auf einer der Wegplatten eingravieren. «Seither finden Touristen den Weg besser.» Ungelöst ist nach wie vor die Herkunft des Dachses unter dem Kirchenhügel. Mir einer gemeinsamen List müsste auch dieses Problem zu lösen sein.

Die Volkskirche

Zusammenarbeit von Kirchgemeinde und politischer Gemeinde ist die Basis einer Volkskirche und hat in Graubünden Tradition. Dazu gehört die öffentlich-rechtliche Anerkennung der Kirchen, welche sie berechtigt, von ihren Mitgliedern Steuern zu erheben. Diese verpflichtet die Kirchen aber auch zu demokratischer Organisation. Mit Leistungsaufträgen delegiert der Kanton die Seelsorge in den Spitälern, Kliniken und Justizvollzugsanstalten oder die Lebens- und Paarberatung an die Kircn. Diese kirchlichen Dienstleistungen stehen allen offen.