Recherche 14. April 2022, von Constanze Broelemann, Rita Gianelli, Mayk Wendt

Wanderung im Zeichen der Versöhnung

Versöhnung

Zu Zeiten des dreissigjährigen Kriegs wird der Kapuzinermönch Fidelis von Sigmaringen am 24. April 1622, in Seewis ermodert. Er wollte die Prättigauer rekatholisieren.

Dem Versöhnungsgottesdienst ging eine Wanderung voraus. Eine Gruppe startete im österreichischen Feldkirch in Richtung Lichtenstein, wo sie auf eine deutsche Gruppe aus Sigmaringen traf. Eine weitere, dritte Gruppe machte sich in Seewis im Prättigau auf auf den Weg. Sie alle folgten den historischen Pfaden von Fidelis. Bei der Anhöhe am Fadärastein oberhalb von Malans trafen alle drei Gruppen zusammen. Von den mehr oder weniger grossen Anstrengungen des Weges konnten sich die Wanderer mit Kuchen und Getränken und mit Blick auf das Churer Rheintal, wieder stärken. Das gemeinsame Wandern liess Zeit und Raum für Gespräche über Gott und die Welt, über Versöhnung und Frieden. Von dort liefen die nun rund 50-60 Personen gemeinsam in Richtung Seewis, wo sie vom Bischof aus Chur in Empfang genommen wurden. Menschen aus dem deutschen Sigmaringen, dem österreichischen Feldkirch und dem schweizereischen Seewis machten sich aus der Heimat auf und trafen sich zum Apero auf dem Aussichtspunkt Fadärastein im Prättigau. Von dort ging es gemeinsam in die Dorfkirche von Seewis zum Versöhnungsgottesdienst.

Versöhnung sei gerade heute, in Kriegszeiten, das Thema schlechthin, sagte Lars Geschwend, Gemeindeleiter der katholischen Pfarrei Vorder-und Mittelprättigau. Neben ihm war Bischof Joseph Maria Bonnemain in der reformierten Kirche zugegen. Ebenso Thomas Müller, Dekan der Bünder Pfarrschaft sowie der leitende Kapuzinermönch aus dem gleichnamigen Kloster in Feldkirch in Österreich. In einer Dialogpredigt legten der Pastor loci, Andreas Anderfuhren und Lars Geschwend das Pauluswort aus dem Epheserbrief: „Ertragt einander in Frieden“ aus. Die Predigenden kamen zu dem Schluss, dass sie aufeinander in ihrer Verschiedenheit angewiesen sind und von den unterschiedlichen Traditionen profitieren könnten.

Warum sind reformierte Kirchen oft geschlossen?

So fragte sich der Katholik Geschwend, warum im Gegensatz zu katholischen Kirchen, die reformierten oft geschlossen seien. Auch das eine Frage der Tradition, steht doch bei den Reformierten die Predigt im Vordergrund, während katholische Christen jederzeit Zutritt zum Kirchenraum haben möchten, um ein Gebet zu sprechen. Dekan Thomas Müller von der reformierten Kirche erinnerte an das Wort aus der Bergpredigt im Matthäusevangelium: „Selig, sind die, die Frieden stiften.“ Dafür brauche es Mut und Demut auf den anderen zuzugehen. Bischof Bonnemain sieht die Gemeinde des Tages als Gruppe von Friedenstifterinnen und –Stiftern. Die Vergangenheit sei nicht mehr zu ändern, aber Gott sei ein Gott der Gegenwart. Und mit Gott an der Seite lasse sich sogar die Vergangenheit verwandeln. Und demütig zu sein, heisse seine eigene Bedeutung zu relativieren. Die Gemeinde war glücklich über den Besuch aus dem Bistum Chur und applaudierte dem Bischof stehend. Versöhnlich umarmten sich der Bündner Dekan und der Bischof von Chur.

Geschichte theatralisch aufarbeiten

Eingangs des 1000 Einwohner zählenden Dorf Seewis hoch über dem Prättigau sucht Johannes Flury vier Freiwillige unter den Zuschauerinnen und Zuschauern. Er verteilt ihnen je ein Schild, worauf steht: Wien, Mailand, Paris und Venedig. Die Metropolen der Habsburger, des spanischen Königsreiches und der französischen Grossmacht, an deren Seite auch die Republik Venedig stand. Sie alle kämpften damals, während des dreissigjährigen Krieges, um die Vorherrschaft in Europa. „Und Graubünden steht mittendrin, sagt der Theologe Johannes Flury.So beginnt die theatralische Dorfführung, rund um die Ermordung des Kapuzinermönchs Fidelis von Sigmaringen am 24. April 1622, in Seewis. Sie gehört nebst Versöhnungsgottesdienst, Begegnungsreisen und Wanderausstellung zu den Aktivitäten im Fidelis-Jubiläumsjahr.

Das Publikum steht vor dem gepflegten, mit Sträuchern umrankten, Fidelis-Brunnen unter der reformierten Kirche. Ein Denkmal zu Ehren des Märtyrers Fidelis von Sigmaringen, der das Prättigauer Volk zum alten Glauben, dem Katholizismus, zurückführen wollte, dafür aber von den „störrischen und aufständischen“ protestantischen Prättigauern mit Schwert und Prättigauer Prügel (dicker, langer Holzstock mit Nägeln an einem Ende gespickt) erschlagen wurde. Wie das Gespräch mit seinem befreundeten Kapuzinermönch vor dem tragischen Vorfall gelaufen sein könnte, zeigen zwei Laiendarsteller in Mönchskutte vor dem Brunnen.

Weiter führt die Inszenierung in die reformierte Kirche, wo Johannes Flury 1970 seine erste Predigt hielt. Flury berichtet von den Wundern, die dem Märtyrer Fidelis zugeschrieben wurden, bevor er heiliggesprochen wurde. „Denn Wunder braucht es für eine Heiligsprechung. Viele Wunder“, sagt Flury. Die habe es auch im Prättigau gegeben haben. „Kriegswunder“, zum Beispiel in der Talebene bei Aquasana, wo plötzlich ein Feuer ausbrauch und so den Prättigauern half die Österreicher zurückzuschlagen.

Schauspieler Andrea Zogg schrieb Drehbuch

Nach dem Kirchenbesuch erwartete das Publikum am Strassenrand eine Expertenrunde der  Radiosendung „Der ökumenische Spaziergang“. Vier Schauspieler sitzen auf Stühlen, während sie ihre Einschätzung über Leben und Wirken des Fidelis aus ihrer Perspektive preisgeben.

Unterschiedliche Perspektiven, die verschiedenen Zeitepochen und der Bezug zu heute miteinfliessen zu lassen, das war auch die Intention des Regisseurs Andrea Zogg. Der bekannte Bündner Schauspieler und Regisseur war an der Uraufführung vom 12. April unter dem sonnigen Frühlingshimmel mit dabei. Rund zwei Monate recherchierte Zogg Leben und Wirken des Märtyrers Fidelis, die Lebensumstände der Prättigauer Bevölkerung zur damaligen Zeit und schrieb ein Drehbuch. Als Bewohner des Prättigaus (er lebt auf der anderen Talseite im ehemaligen Pfarrhaus in Valzeina) und ehemaliger Schüler Flurys (er absolvierte die Matura an der Evangelischen Mittelschule Schiers) kennt er das Prättigau gut. Es sei ihm eine Ehre gewesen, an dem Projekt mitzuarbeiten, als Flury ihn angefragt habe.

Im Schloss, wo die Fidelis-Wanderausstellung zu besichtigen ist und wo Flury einst als Pfarrsohn aufgewachsen ist, endet auch die theatralische Dorfführung. Zoggs Inszenierung, gespickt mit Schalk und Augenzwinkern und Flurys Führung, bei der er auf zahlreiche interessante Nebenschauplätze verweist, gehören dieses Jahr zu den Höhepunkten im touristischen Angebot Graubündens.

Ein Denkmal für Opfer und Täter

Rund 25 000 Franken kosten die Gemeinde und die Landeskirchen das Jubiläumsjahr. Ein siebenköpfiges Komitee aus Kirche, Gemeinde Seewis, dem Tourismus- und Bildungswesen stellte innerhalb knapp eines Jahres ein umfangreiches Programm zusammen. Lars Gschwend, Religionspädagoge des katholischen Pfarramtes Seewis initiierte gemeinsam mit der Pfarrerei Vorder-Mittelprättigau das Jubiläumsjahr. Für ihn ist es ein Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte. Dass das Thema auch in den Bündner Medien grossen Anklang fand, freut ihn. „Bereits zehn Gruppen haben sich für Dorfführungen angemeldet.“

Die Schauspieler der Theatergruppe Grüsch tragen in der letzten Szene lange Röcke, Schürzen, gestärkte Hemden und Sonntagshosen aus Bündner Tuch. Es ist das Jahr 1902, vor dem Schloss wird ein weiteres Denkmal mit Politprominenz eingeweiht. Ein marmorner Obelisk mit der Inschrift: „Den tapferen und hochgesinnten Ahnen, die Anno 1622 für ihre geistige und leibliche Freiheit im Vertrauen auf Gott alles gewagt haben, setzen dieses schlichte Denkmal ihre dankbaren freien Söhne. Mai 1902.“ Den Rekatholisierungsversuchen fielen auch viele Seewiser zum Opfer. Somit ist Seewis der einzige Ort in der Schweiz, der Opfern und Tätern am gleichen Ort ein Denkmal widmet. Ein eindrückliches Zeichen der Versöhnung.

www.seewistourismus.ch/fidelis
www.kath-vmp.ch