Recherche 26. August 2020, von Marius Schären

Private Gastgeberin für Asylsuchende

Asyl

Seit dem Frühjahr müssen abgewiesene Asylsuchende in die Rückkehrzentren – oder sie kommen privat unter. Die Kirchgemeinderätin Rosetta Bregy möchte die Erfahrung nicht missen.

«Es ist schön, sie hier zu haben. Wenn ich nach Hause komme, sind sie da. Wenn ich Zeit finde, reden wir zusammen, oder wir spielen.» Rosetta Bregy bietet einer Flüchtlingsfamilie ein Dach über dem Kopf. Seit Ende März wohnen Etsegenet Adela und Solomon Shishai mit ihrem vierjährigen Sohn Abel in der Wohnung der Coachin, Bewegungstherapeutin und Kirchgemeinderätin von Köniz.

Auf die Frage, warum sie das tue, meint sie schlicht: «Es ist einfach ganz normal. Die Frage ist: Warum tun es so viele nicht?» Und fügt nach kurzem Nachdenken hinzu: «Es ist so reich und vielschichtig.»

Angst vor Rückkehrzentrum

Adela und Solomon kommen aus Äthiopien, ihr Sohn Abel ist in der Schweiz zur Welt gekommen. Hätten sie nicht die Möglichkeit, privat bei jemandem zu wohnen, wären sie nun in ­einem sogenannten Rückkehrzentrum für abgewiesene Asylsuchende untergebracht.

Seit vergangenem Frühling sind im Kanton Bern drei Zentren in Betrieb: in Biel, Aarwangen und Gampelen. Mit der neuen Asylstrategie verfolgt der Kanton zwei Haupt­ziele: Wer bleiben darf, soll besser integriert werden. Wer gehen muss, soll rasch ausgeschafft werden. In den Rückkehrzentren erhalten die Flüchtlinge Nothilfe, das verfassungsrechtlich zugesicherte Minimum: acht Franken pro Tag, medizinische Grundversorgung sowie ein Dach über dem Kopf. Es herrschen die Anwesenheitspflicht und ein Arbeitsverbot.

«Die Familie hatte grosse Angst, dorthin gehen zu müssen», erklärt Rosetta Bregy. Solomon Shishai ist bereits seit zwölf Jahren in der Schweiz, Etsegenet Adela seit zehn. Zurück ins Herkunftsland können sie nicht: Der Mann hat eine eritreische Staatsbürgerschaft, ist aber in Äthiopien geboren und aufgewachsen. Äthiopien nimmt aber keine Eritreer auf. Und seine äthiopische Frau wurde ausgestossen und bedroht, weil ihr Mann Eritreer ist.

Auswegslose Geschichte

Rosetta Bregy kennt die Geschichte der Familie noch nicht lange. Die Fakten seien ihr bekannt aus den Akten. «Wichtiger ist mir aber, was sie selbst direkt erzählen: von der Gewalt, dem Elend, der Repression und den Traumata, die sie erleben und erleiden mussten.» Das Schweizer Gesetz trage solchen Hintergründen viel zu wenig Rechnung, findet die Kirchgemeinderätin.

Den Begriff «Rückführungszentrum» etwa empfindet sie als Hohn. Von Freunden habe sie erfahren, was es heisst, dort leben zu müssen. «Dann hörte ich von der Möglichkeit, dass Privatpersonen Flüchtlinge aufnehmen können.» Und ihr war klar: Sie möchte Menschen das Schicksal in einem Zentrum ersparen. Der Riggisberger Pfarrer Daniel Winkler vermittelte daraufhin die Familie, es gab ein Treffen Anfang März, wenige Wochen später konnten sie bereits einziehen.

Selbst der amtliche Weg sei kurz, sagt Bregy: «Es braucht lediglich ­eine Meldung beim Migrationsamt und einen Vertrag, unter anderem mit dem Inhalt, dass ich kein Geld erhalte und einzig die obligatorischen Krankenkassenprämien vom Staat bezahlt werden.» Sie selbst stelle lediglich den Raum zur Verfügung, die Kosten für den Lebensunterhalt und die rechtliche Begleitung würden durch Spenden und über ein Crowdfunding gedeckt.

Anpassung mit dem Glauben

Dass die Frau und der Mann nicht arbeiten dürfen, findet Rosetta Bregy nicht in Ordnung. Selbst in Kirchenkreisen habe man Angst, das junge Paar um Hilfe zu bitten. Doch zu Hause begrüssten sie ihre Gastgeberin stets fröhlich. «Wir führen Gespräche über Gott und die Welt, lachen und scherzen. Ihre Redlichkeit und Anpassungsfähigkeit sind auch ein Geschenk für mich.» Und beeindruckt ist Bregy davon, wie sie sich ins Schicksal fügen. Ihr Glaube stütze sie dabei.

Die Reaktionen auf Bregys Engagement seien unterschiedlich, sagt sie: von Interesse über unbeholfenes Staunen bis zu raschen Themenwechseln. «Dabei ist es so einfach! Das zeigte sich in der Zeit des Lockdowns: Solidarität ist in der Gesellschaft möglich.» Bregy wünscht sich, dass dieses Mitgefühl anhält – «und zwar auch für Stellenlose, Alleinerziehende und Jugendliche ohne Perspektiven.» Die Kirche hätte viele Möglichkeiten zur Unterstützung, ist sie überzeugt.

Ganz alles ging aber doch nicht reibungslos. «Ein Riesenaufwand war es, bis der Sohn die Erlaubnis hatte, in den Kindergarten zu gehen – obwohl das gesetzlich vorgeschrieben ist», sagt die Coachin. Vor allem aber hofft sie, dass das Härtefallgesuch der Familie angenommen wird – «damit sie hier ein selbstständiges und würdiges Leben leben können».