Recherche 27. April 2020, von Constanze Broelemann

Die Corona-Pandemie fordert Spitalseelsorgende mehr

Spitalseelsorge

Seit Covid-19 sind es vermehrt Spitalseelsorgende, die eine Brücke zwischen Schwer-Kranken und ihren Angehörigen bauen. Susanna Meyer-Kunz ist eine, die Brücken baut.

Wie sieht Ihre Arbeit als Seelsorgerin im Unispital Zürich derzeit aus?
Susanna Meyer-Kunz: Einerseits bin ich Seelsorgerin vor Ort für eine grosse Intensivstation, die auch für Covid-19-Patientinnen und -Patienten zuständig ist. Andererseits bin ich Teamleiterin der reformierten Seelsorge im Spital. Derzeit muss ich mein Team neu organisieren, weil Mitarbeitende der Risikogruppe angehören und ins Homeoffice müssen. Dann werden Stationen aufgrund von Covid-19 verändert. Wir müssen sehr flexibel sein.

Das Bundesamt für Gesundheit hat ein Besuchsverbot für Angehörige in Spitälern erlassen. Was bedeutet das für Sie als Seelsorgende? Haben Sie noch mehr zu tun?
Ja, weil das Besuchsverbot auch bedeutet, dass alle Patienten, die andere Erkrankungen haben, auch nicht mehr besucht werden dürfen. Da ist der Bedarf an Seelsorge gestiegen. Mit dem Besuchsstopp haben wir im Unispital gemeinsam mit der Pflegeleitung die Idee gehabt, dass wir auch in Spitalkleidung arbeiten. Das hat uns den Zugang zu den Patienten nochmal erleichtert.

Wie betreuen Sie schwererkrankte, also intensivpflichtige Covid-19-­Patienten seelsorgerlich?
Wir müssen die ganze Schutzkleidung aus Anzügen, Masken, Brillen und Handschuhen tragen. Das ist schon anders, denn man ist in ­einer Art «verkleidet». Oft spielen wir den Patienten, die sediert und beatmet sind, Audionachrichten ­ihrer An­gehörigen vor. Eine schöne Sache, denn die Menschen können ja selbst nicht telefonieren. Grundsätzlich telefonieren wir sehr viel mehr mit Angehörigen, wenn sie das wollen.

Eben haben Sie bereits geschildert, dass Audio-Nachrichten eine Möglichkeit sind, eine Verbindung zwischen Patient und Angehörigen herzustellen. Gibt es noch andere Brücken, die Sie bauen?
Kürzlich hatten wir einen schwer an Covid-19-erkrankten Mann auf der Station. Weder die Kinder noch seine Frau durften ihn besuchen, weil sie infiziert waren oder zur Risikogruppe zählen. Ich war fast jeden Tag bei ihm und habe ihm Audio-Nachrichten seiner Angehörigen abgespielt. Eines Nachts verstarb er dann, ohne dass sich die Angehörigen verabschieden konnten. Wir haben mit dem Bestatter geschaut, dass Briefe und Zeichnungen der Angehörigen in den Sarg gegeben wurden. Und ich habe auf Wunsch den Psalm 23 am Krankenbett gelesen und der Tochter am Telefon auch nochmals. Ich sehe unsere Aufgabe als Seelsorgende darin, darauf zu achten, dass Trauer geäussert werden kann. Dass trotz der strikten Auflagen noch etwas möglich ist. Wir halten eine Lücke für Menschlichkeit, und natürlich, wenn gewünscht, auch Göttliches offen.

Also ist es möglich, sich bei einem an Covid-19-Verstorbenen zu verabschieden?
Ja, bei uns im Unispital schon. Aber in einem eng definierten Zeitfenster und mit wenigen Angehörigen und Schutzvorkehrungen. Wir haben dazu im Spital eine interne Leitlinie zum Umgang mit Covid-19 auf der Intensivstation erarbeitet.

Insbesondere die Mitarbeitenden in Spitälern sind extrem gefordert. Sind Sie auch für sie da?
Ja. Wir haben eine Hotline für Mitarbeitende des Unispitals eingerichtet. Dort können sie rund um die Uhr anrufen. Wir von der Seelsorge machen den Pikettdienst ab 22 Uhr. Die Hotline wurde sehr engagiert durch das USZ in Zusammenarbeit mit Psychiatern, Psychologen, der klinischen Ethik, der HR und uns auf die Beine gestellt.

Es kann das Gefühl eines Ungleichgewichts in der Arbeitsteilung aufkommen. Man hört, dass das Spitalpersonal um Leben ringt, während der Grossteil der Gesellschaft im Homeoffice sitzt.  
Das Spitalpersonal erlebt derzeit eine recht hohe Anspannung. Man kann jedoch sagen, dass es bei uns auf den Intensivstationen nicht viel hektischer als sonst zu geht. Wir brauchen viel mehr Personal, aber das wurde auch rekrutiert. Bis jetzt ist es ein ruhiges und konzentriertes Arbeiten. Eindrücklich ist, dass das Pflegepersonal gesellschaftlich eine höhere Wertschätzung erfährt. Hoffen wir, dass dies auch nach der Corona-Krise anhält.

Susanna Meyer-Kunz, 53

Die ausgebildete Pflegefachfrau HF und Pfarrerin leitet seit Dezember 2018 das Team der reformierten Spitalseelsorger am Universitätsspital Zürich (USZ). Zuvor war sie Spitalseelsorgerin und Leiterin des Care Teams am Kantonsspital Graubünden in Chur. Sie ist Präsidentin der Vereinigung der Deutschschweizer Spital-, Heim- und Klinikseelsorgenden.