Recherche 02. März 2021, von Anouk Holthuizen

Was der Lockdown mit Paaren macht

Beziehungen

Covid-19 steigert die Nachfrage nach Paartherapien. Kathrin Eichenberger von der Oekumenischen Paarberatung in Wohlen erlebt Konflikte rund um Rollenverständnisse.

Welchen Einfluss haben Covid-19 und die Homeoffice-Pflicht auf das Paarleben? 
Kathrin Eichenberger: Vor allem Paare mit Kindern sind stärker belastet. Sie müssen sich anders organisieren und flexibel bleiben für die wechselnden Situationen etwa wegen Quarantänen. Das merken wir auch an den zahlreichen An- und Abmeldungen. Dann gibt es eine tiefere Ebene: Paare sind zurzeit stärker aufeinander angewiesen. Distanzierung und Ablenkung als Möglichkeiten, eigene Emotionen zu regulieren, sind stark eingeschränkt, was zu vermehrten oder heftigeren Konflikten führen kann. 

Kommen mehr Leute in die Praxis? 
Die Nachfrage ist seit einigen Monaten gross. Die Aargauer Fachstelle für häusliche Gewalt überweist uns zum Beispiel mehr Leute. Auch beraten wir häufiger Paare, deren Situation bereits schwierig war, sich mit Corona aber verschärft hat. Personen, die sozioökonomisch in prekären Verhältnissen leben, geraten noch mehr ins Schleudern, etwa weil ein Partner die Stelle verloren hat oder weil die Enge den Umgang miteinander erschwert.  

Gut situierte Paare geraten in dieser Situation weniger in Krisen? 
Finanziell sicher zu leben und viel Raum für sich zu haben, erleichtert die Situation. Dennoch können Probleme auftauchen. Dass nun beide zu Hause sind, machte manchen zu schaffen. Die Rollenverteilung gerät durcheinander, und es gibt im Haushalt mehr zu tun. Wer kocht, wer putzt? Paare mit Kindern haben oft noch ein eher traditionelles Rollenmuster. Es ist die Frau, die sich nebst einer teilzeitlichen Lohnarbeit mehrheitlich um Kinder und Haushalt kümmert. Unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse prallen nun vermehrt aufeinander.  

Könnte die neue Situation diese Rollen nicht auch ändern? 
Es kann eine gute Gelegenheit sein, Verantwortlichkeiten zu überdenken. Frauen sind oft ambivalent: Einerseits ist der Wunsch nach Entlastung schon lange da, doch dann macht der Partner es möglicherweise nicht so, wie sie sich das vorstellt. Gelingt ein offener Austausch darüber, können beide gewinnen. 

Covid-19 führt bei vielen zu mehr Stress, aber der Alltag hat weniger Programm. Hat das auch Vorteile?    
Das begegnet mir tatsächlich auch. Ich habe zum Beispiel ein Paar beraten, wo die Frau wegen jahrelanger Konflikte bereits ausgezogen war. Als nun ihre vielen Engagements in Vereinen wegfielen, bemerkten beide, dass viel Druck von ihnen abfiel. Plötzlich entspannte sich nun auch ihre Beziehung.   

Wie beeinflusst die ständige Nähe die Sexualität? 
Erotik braucht Anregung und Leidenschaft, was im ständigen Zusammensein schwierig herzustellen ist, ohne Anregung schläft die Sexualität ein. Oder es entstehen Blockaden, weil mehr Nähe mehr emotionale Abhängigkeit bedeutet. Ein eher positiver Aspekt kann sein, dass weniger Alltagsstress mehr Raum für Intimität und Sexualität ermöglicht. Unterschiedliche Bedürfnisse punkto Intimität sind generell oft ein Thema in den Beratungen. Doch nun kommt der Corona-Blues hinzu. Viele fühlen sich erschöpft. Das drückt auf die Lust.  

Was drückt der Name der Beratungsstelle heute noch aus?  
«Oekumenisch» soll unsere Offenheit bezüglich der Kirchen ausdrücken. Unsere Beratungsangebote erfordern jedoch keine Zugehörigkeit zu einer Kirche. Auch sind alle Konstellationen von Paarbeziehungen willkommen. Wir sind psychologisch-paartherapeutische Fachleute. Die Stelle wird von den Landeskirchen finanziell mitgetragen, was einen günstigen Zugang ermöglicht für Menschen mit Beziehungsfragen. Entsprechende kirchliche Beratungsstellen entstanden in den Achtzigerjahren. Die Kirche wollte etwas gegen die zunehmende Scheidungsrate unternehmen.   

Ihr Auftrag ist nicht mehr, Paare möglichst zusammenzubringen?
Jedes Paar gibt uns seinen eigenen Auftrag. Hat ein Paar Kinder, weise ich aber darauf hin, dass beide Partner auch nach einer Trennung lange miteinander zu tun haben. Als Paartherapeutin unterstütze ich gerne auch Paare im Entdecken neuer Möglichkeiten in der Partnerschaft. Wenn eine Trennung in Erwägung gezogen wird, hat sich bereits eine lange Geschichte abgespielt. Darum finde ich es schade, dass das Paar nicht schon früher eine Beratung aufsuchte. Wenn sich Muster einschleichen, man diese reflektieren und gezielt beeinflussen kann, wirkt sich dies positiv auf die Beziehung aus. Dazu braucht es manchmal gar nicht viel.   

Ihre wichtigsten Tipps für Paare in der aktuellen Zeit? 
Sie gelten generell. Der erste: Wenden Sie sich positiv dem Partner zu. In einer Beziehung wird man oft immer kritischer. Legen Sie den Fokus öfter auf das, was gut ist. Viele schaffen es trotz Lockdown, ihr Familienleben zu geniessen. Stossen Sie darauf an! Suchen Sie Variationen, auch im eingeschränkten Alltag ist Abwechslung möglich. Und: Wenn man nicht real reisen kann, dann gemeinsam im Kopf mit Erzählungen, zum Beispiel in Sachen Erotik. Und schliesslich noch mein dritter Tipp: den Partner oder die Partnerin mit Dingen überraschen, die er oder sie gernhat. Man kennt ja die Vorlieben. Es kann eine kleine Geste sein, doch sie ist umso wichtiger, je weniger Inputs von aussen kommen.