Besser hätte ein Zusammenschluss von Kirchgemeinden nicht vorbereitet sein können: Auf den von den acht Oberengadiner Kirchgemeinden erwirkten Zusammenschluss zum Dachverband Il Binsaun vor zwanzig Jahren folgte ein mehrjähriges, demokratisch abgestütztes Projekt zur Weiterentwicklung und Gründung der Kirchgemeinde Refurmo. Doch der Start von Refurmo war harzig. Kündigungen von langjährigen, aber auch neu eingestellten Mitarbeitenden verunsicherten die Mitglieder. Der Kirchgemeindepräsident Gian Duri Ratti trat vor einem Monat zurück.
Herausforderung für Laien
Refurmo ist kein Einzelfall. Viele Bündner Kirchgemeinden kämpfen mit Personalwechseln in den Pfarrämtern oder der Besetzung des Vorstands. Die Gründe sind oft dieselben: «Vorstand und Pfarrpersonen sind nicht vertraut mit den formellen Strukturen einer gemeinsamen Gemeindeleitung», bringt es Curdin Mark, Kirchgemeindepräsident der Kirchgemeinde Chur, auf den Punkt. Eine gemeinsame Gemeindeleitung heisst: Der Vorstand und die Pfarrpersonen sorgen gemeinsam für den Gemeindeaufbau. Die Pfarrpersonen nehmen mit beratender Stimme an den Sitzungen teil. Das Führungsinstrument ist neu auch in der Kirchenverfassung verankert.Dieses System, so Mark, funktioniere erfahrungsgemäss nur, wenn Verantwortlichkeiten klar getrennt seien. Personelle und strategische Entscheide fällt der Vorstand, während theologische und seelsorgerliche Inhalte in Zusammenarbeit mit den Pfarrpersonen bestimmt werden. «Gute Vorstandsarbeit basiert auf gegenseitigem Vertrauen.»
So sieht es auch die Pfarrperson einer mittelgrossen Bündner Kirchgemeinde, die anonym bleiben will. Sie habe gekündigt, weil der Vorstand genau diese Trennung nicht wahrgenommen habe. «Einerseits ist es schwierig, Vorstandsmitglieder zu finden, weil der Aufwand abschreckt. Wenn doch, sind sie andererseits überfordert, weil sie die Strukturen nicht kennen und über die Köpfe der Pfarrpersonen hinweg entscheiden.» Hat das Modell Kirchgemeinde also eine Zukunft? Solange es die verfasste Kirche gebe, werde es auch die Kirchgemeinden geben, sagt Peter Baumann. Er ist Beauftragter für Gemeindeentwicklung und Mitarbeiterförderung der reformierten Kirche des Kantons St. Gallen und begleitet Zusammenschlüsse von Kirchgemeinden.
Wöchentliche Absprachen
Eine Kirchenleitung, vor allem nach Zusammenschlüssen, so Baumann, brauche den intensiven Austausch: wöchentliche Absprachen, monatliche Teamsitzungen, Vermittlung von Mitarbeitenden, aber auch Supervision. «Für Laien kann das sehr anspruchsvoll sein.» Eine Begleitung und Schulung der Behörden ist unabdingbar. «Je ländlicher ein Gebiet, desto schwieriger ist es, Kirchgemeinden durch eine Organisation zusammenzuhalten», sagt er. Jedes Dorf ist eine eigene Welt. Anzunehmen, dass sich die meisten kennen in der Kirchgemeinde, sei falsch. «Zwei bis acht Prozent der Mitglieder sind regelmässige Gottesdienstbesucher.» Ein Grossteil nimmt nie teil am Kirchgemeindeleben. Trotzdem werde immer noch rund ein Drittel der personellen Ressourcen dafür eingesetzt. Die Erwartung, durch Fusionen Ressourcen zu sparen und gleichzeitig mehr Menschen anzusprechen, führt so zu enormem Druck unter Pfarrpersonen. Die zentrale Frage ist also: Welches kirchliche Leben an welchem Ort will eine Kirchgemeinde ermöglichen? Braucht es kirchliche Jugendarbeit, wenn die wenigen Jugendlichen der Gemeinde bereits in Vereinen engagiert sind?
Im Gremium getragen
Solche Fragen gehören auch für Oliver Santschi und seine Vorstandskollegen zum Tagesgeschäft. Santschi arbeitete früher in einem Team von fünf Pfarrpersonen einer grossen Gemeinde im Kanton Bern. Heute ist er allein für fünf Kirchen im Rheinwald zuständig. Er spürt ein Mittragen der Kirche von den Dorfbewohnern und -bewohnerinnen und insbesondere den Mitgliedern im Kirchgemeindevorstand. Und er kennt die landeskirchlichen Kontaktstellen, an die er sich bei Problemen wenden kann. Um die Zusammenarbeit mit Mitgliedern von Kirchenleitungen zu fördern, haben die Bündner Pfarrer und Pfarrerinnen angeregt, eine ethische Wegleitung für Behördenmitglieder zu erarbeiten. «Dies, auch um miteinander im Gespräch zu bleiben», sagt Oliver Santschi.