Recherche 26. September 2022, von Constanze Broelemann

«Ich sorge mich um die Kirche in Europa»

Ökumene

Christinnen und Christen in Nigeria sind wegen ihres Glaubens bedroht. Anthony Ndamsai ist dort Pastor einer Friedenskirche, die wichtige soziale Arbeit leistet.

Was erwarten Sie von der Versammlung der weltweiten Kirche in Karslruhe?
Anthony Ndamsai: Dass sich Christinnen und Christen hier trotz Vielfalt in Einheit begegnen und so Einfluss auf die Geschehnisse der Welt haben. Angesichts der Krisen und Gewalttaten dieser Zeit müssen wir friedlich intervenieren. Als Kirche sollten wir die Konfliktparteien beraten und versuchen Frieden zu stiften. Lasst unseren Worten Taten folgen. Wir alle sollten nicht nur in der Kirche sein, um zu predigen, sondern raus in die Welt gehen.

Was bedeutet tätige Arbeit der Kirche in Ihrer Heimat Nigeria?
Meine Kirche ist eine dieser vielen geschichtsträchtigen Friedenskirchen. Sie geht zurück auf eine pietistisch-täuferische Bewegung in Deutschland aus dem 18. Jahrhundert. Wir sind gegen alle Formen von Krieg und Gewalt und leiten die Gewaltfreiheit von der Bergpredigt im Neuen Testament ab. In Nigeria ist die muslimische Terrormiliz Boko Haram aktiv. Sie hat uns als Kirche sehr zugesetzt. Unter anderem wurde unser Hauptquartier einmal komplett zerstört. Dennoch bieten wir den Dialog zwischen Christinnen, Christen und Musliminnen, Muslimen an.

Haben Sie Angst, selbst Zielscheibe eines terroristischen Angriffs zu werden?
Sicher. Die Situation in Nigeria wird mit jedem Tag schlimmer. Ich bin niemals sicher, weder zu Hause noch auf der Arbeit. Überall können wir überwältigt werden. Wir leben mit der Angst, aber wir wollen nicht fliehen. Denn Nigeria ist unser Zuhause, der Ort, den wir kennen.

Sind Sie als Christinnen und Christen in der Minderheit?
Wir sind etwa gleich viele Christen wie Muslime in Nigeria. Aber die Musliminnen und Muslime versuchen uns zu dominieren. Meine Kirche hat rund anderthalb Millionen Mitglieder. Wir sind in Kwarhi im Nordosten Nigerias ansässig. Dort ist auch die Terrormiliz Boko Haram. Sie haben viele unserer Kirchen zerstört. 4000 unserer Kirchenmitglieder leben heute in  den Flüchtlingscamps in Kamerun. Inzwischen gibt es Orte, die aufgrund der Gewalt ganz ausgestorben sind.

Sie waren kürzlich in der Schweiz, in Davos. Wie haben Sie die Gottesdienste hier erlebt?
In Davos war ich im Zusammenhang mit der Missionssynode, die dieses Jahr in Graubünden stattfand. Ich bin Repräsentant der afrikanischen Kirchen und damit Teil der Synode. Was die Kirche in Europa betrifft, bin ich etwas in Sorge. Als ich hier den Gottesdienst besuchte, sah ich nur alte Menschen. Was wird die Zukunft der Kirche sein, wenn nur noch ältere Menschen kommen? Bei uns in Nigeria sind Hunderte junger Menschen in der Kirche. Das gibt uns Freude, Spass und Hoffnung. Es zeigt, dass die Kirche auch nach meiner Generation bestehen wird.

Wie haben Sie die zwei Wochen in Graubünden erlebt?
Die Region ist sehr schön. Ich mag die Natur, die Berge, und ich war fasziniert, wie ordentlich in der Schweiz alles abläuft. Das öffentliche Verkehrsnetz ist exzellent. Ich war jetzt dreimal in der Schweiz, aber ich denke, die Synode in Davos war die beste, der ich je beigewohnt habe. Alles war perfekt organisiert. Ich habe es genossen.

In Europa sind wenige junge Menschen in den Gottesdiensten. Warum, denken Sie, ist das so?
Ich habe keine Antwort, weil wir in ganz verschiedenen Kontexten leben. Aber ein Rat ist, für die jüngeren Menschen Unterhaltung, Spiele erst mal ohne starken Bibelbezug anzubieten. Der kann später folgen. Und die Musik in der Kirche hier: Ich habe sie zwar genossen, aber ich denke, die Jugend kann mit dieser Musik nichts mehr anfangen. Erlaubt ihnen, ihre Musik zu spielen.

Das Interview wurde auf Englisch geführt.

​Anthony Ndamsai, 54

Anthony Ndamsai ist Pastor der Church of the Brethren oder Ekklesiyar Yan’uwa a Nigeria (EYN) in Nigeria. Der Hauptsitz der Kirchenleitung befindet sich in Kwarhi, Adamawa State. Seit 1959 besteht zwischen der EYN und Mission 21 eine Partnerschaft. Die EYN führt soziale Einrichtungen wie Schulen, hat ein Programm zur Bekämpfung von HIV/Aids und ist in der Friedensarbeit aktiv.