Recherche 25. November 2020, von Katharina Kilchenmann

Gipfeltreffen der frisch Gewählten in Basel

Kirche

Die Reformierten und der Israelitische Gemeindebund haben die Präsidien neu gewählt. Rita Famos und Ralph Lewin reden über die Säkularisierung und andere Baustellen.

Viel deutet nicht darauf hin, dass die Synagoge in Basel streng bewacht wird: ein Zaun, dahinter eine Glasbox, in der ein Mann in Alltagskleidung sitzt. Ein kurzes Surren, das Tor öffnet sich. Auf dem Vorplatz stehen Rita Famos und Ralph Lewin, die beiden frisch Gewählten.

Anfangs seien die Eingangskontrollen etwas bedrückend gewesen, sagt Ralph Lewin, der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). Inzwischen hat er sich daran gewöhnt. «Die Sicherheitsmassnahmen sind leider nötig.» Sie wurden noch vor dem Attentat in Wien verstärkt. Laut Nachrichtendienst besteht auch in der Schweiz erhöhte Terrorgefahr. «Das ist bedrohlich und höchst bedauerlich», sagt Rita Famos. Sorge bereitet der neuen Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) auch die Zunahme antisemitischer Tendenzen, die sich besonders in den sozialen Medien im Zusammenhang mit diversen Verschwörungstheorien rund um die Pandemie etablierten.

Antisemitismus auch in der Schweiz

Famos verweist auf die Kampagne «Stop Antisemitismus» der Stiftung gegen Rassismus und Anti-semitismus, die von der Zürcher Landeskirche oder auch der Vereinigung Islamischer Organisationen in Zürich unterstützt wird. Lewin sagt, persönlich habe er, abgesehen von einer massiven Beleidigung als Schüler und einem aggressiven anonymen Brief, keine Anfeindungen erlebt. «Diese Erlebnisse haben jedoch in mir Spuren hinterlassen.»

Beim Rundgang durch die Synagoge ist Rita Famos beeindruckt von den bunt verglasten Fenstern, der bemalten Kuppel, dem mächtigen Lesepult, das mitten im Raum steht. Die 54-jährige Theologin war 18 Jahre Gemeindepfarrerin, ab 2013 leitete sie die Spezialseelsorge der Zürcher Landeskirche. Am 2. November wurde sie als erste Frau an die Spitze der EKS gewählt. Neben der Repräsentation der Reformierten nach aussen will Famos vor allem den inneren Zusammenhalt stärken. «Als Präsidentin ist es meine Aufgabe, die Bedürfnisse aller Mitgliedskirchen im Blick zu haben und Brücken zu bauen.»

Basel ist als Grenzstadt stark multikulturell geprägt und wie andere urbane Gebiete eher kirchenfern.
Ralph Lewin, 67 Präsident des SIG

Innere Einheit und ein geschlossenes Auftreten sind auch dringend nötig, denn mittlerweile sind die Reformierten eine Minderheitskirche, die immer weniger auf staatliche Privilegien zählen kann. Die neue Präsidentin zeigt sich erstaunlich zuversichtlich: Auch eine kleinere Kirche sei eine wirksame Kirche, meint sie. Darüber hinaus gelte es, die Austrittsgründe genau zu analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen.

Megatrend nicht umkehrbar

Eine Anregung von Famos ist, dass die Reformierten ihre Kirchgemeinde unabhängig vom Wohnort wählen können. «Wir wollen mit den verbleibenden immerhin zwei Millionen Reformierten eine vitale Kirche gestalten», sagt sie. Den gesellschaftlichen Trend, dass traditionelle Institutionen im Zuge der
Individualisierung an Bedeutung verlieren, könne von der Kirche ohnehin nicht aufgehalten werden.

Schon immer eine religiöse Minderheit waren die rund 18 000 Jüdinnen und Juden, die in der Schweiz leben. Ralph Lewin betont, auch kleine religiöse Gruppen seien hierzulande akzeptiert und respektiert. «Obwohl wir bei Diskussionen rund um Themen wie etwa der Beschneidung von Knaben oder den Import von koscherem Fleisch ab und zu mal daran erinnern müssen, dass wir in unserem Land Religionsfreiheit geniessen.» 

Die Verpackung anpassen

Auf dem Weg durch die Innenstadt zum Münster herrscht reger Betrieb: Leute mit Masken eilen von Geschäft zu Geschäft, Gäste sitzen in Strassencafés. Ralph Lewin ist in Basel aufgewachsen, «säkular traditionell». Der Ökonom, ein heiterer, umgänglicher Mann, leitete als SP-Regierungsrat das Basler Wirtschafts- und Sozialdepartement. Dass Basel mit 50 Prozent Konfessionslosen auf dem Weg der Säkularisierung weit fortgeschritten ist, erstaunt Lewin nicht. «Basel ist als Grenzstadt stark multikulturell geprägt und wie andere urbane Gebiete eher kirchenfern.» 

Ob die Entkirchlichung schon bald auch die ländlichen Gebiete in ähnlicher Stärke erfassen wird, müsse sich zeigen, ergänzt Rita Famos. «Wir müssen aber damit rechnen und passen deshalb vielerorts unsere Strukturen an.» Kirchgemeinden schliessen sich zusammen, Liegenschaften werden umgenutzt und

Ressourcen gebündelt

Lewin und Famos schauen hoch zum Münsterturm, wo eine Bauhütte zu sehen ist. In seiner tausendjährigen Geschichte sei das Münster gerade mal drei Monate ohne Baustelle zu sehen gewesen, erzählt Lewin. Ein Bild also für die Kirche als ewige Baustelle? Famos lacht: «Die Arbeit wird uns nicht ausgehen, aber Veränderungen erhalten uns lebendig.»