Recherche 26. August 2020, von Constanze Broelemann, Rita Gianelli

«Der Ausschluss der Pfarrer nimmt uns alle Energie»

Fusion

Drei Jahre nach dem Zusammenschluss zu «Refurmo» gibt es vor allem eins:  Kündigungen. Menschen, die in der Kirche mitarbeiten, äussern sich jetzt dazu.

Herr Bezzola, in einem Interview sagten Sie, das Ziel sei, dass niemand den Zusammenschluss bereuen sollte. Wie ist die Lage heute?
Roman Bezzola: Ich bin nach wie vor überzeugt, dass der Entscheid zukunftsgerichtet ist. Es braucht mehr Zeit, bis wir urteilen können.
Gian-Duri Ratti: Es war eine kluge Ent­scheidung. Wir brauchen als Gemeinde eine gewisse Grösse, um sichtbar zu bleiben. Das war ja die Idee des Zusammenschlusses. Die Probleme waren voraussehbar, weil nicht alle bereit waren, sich auf Neu­es einzulassen.
Karin Last: Gerade komme ich von Proben für ein Musical, das ich mit der Organistin von St. Moritz und 16 Kindern vorbereitete. Weiter geht es am Montag mit «Fiire mit de Kliine». Das sind tolle Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Durch den Zusammenschluss erhielt ich einen attraktiven Arbeitsplatz.
Yvonne Kessler: Kindergottesdienste hatten wir in S-chanf noch nie. Nun habe ich erlebt, dass man gemeinsam an einem Strick zieht.
Gertrud Ernst: Ich weiss nicht, ob es möglich gewesen wäre, im Lockdown flächendeckend Live-­Stream-Gottesdienste anzubieten, ohne die Ressourcen von Refurmo. Doch einen Nachteil sehe ich: Die Gottesdienste sind nicht auf den öffentlichen Verkehr abgestimmt.
Urs Zangger: Für mich war das Bisherige nicht zukunftsträchtig, weil es in einer anderen gesellschaftlichen Umgebung gewachsen ist. Refurmo gibt uns die Möglichkeit, uns neu zu positionieren.

Seit Beginn haben Sie Personalprobleme. Vakante Pfarrstellen, Kündigungen langjähriger Mitarbeitenden. Was sind die Schwierigkeiten?
Ernst: Wir sind alles eigene Persönlichkeiten. Die einen können gut im Team arbeiten, die anderen machen es lieber im Alleingang.
Zangger: Ich nehme mindestens zwei Kulturen wahr: eine von politischem Denken und eine vom Kirchen­­ver­­ständnis geprägte. Die Probleme hängen damit zusammen.
Bezzola: Deswegen hat die Projektgruppe vor dem Zusammenschluss ein neues Leitbild erschaffen. Ich frage mich, ob der Vorstand Zeit hatte, sich daran zu orientieren?
Ratti: In den ersten drei Jahren waren wir stark damit beschäftigt, eine Struktur in den unterschiedlichen Regionen aufzubauen. Das funktioniert jetzt gut. Wir haben einen Workshop zur Umsetzung des Leitbildes gemacht. Dies gestaltet sich in der Tat schwierig. Das müssen wir aufgreifen und die Kommunikation verbessern.
Ernst: Zur Kommunikation gehört primär das Zuhören.  
Bezzola: Das sehe ich genauso. Langjährige und neue Mitarbeitende sowie Ehrenamtliche wollten sich in der Aufbauphase einbringen. Ihre Haltung war wohlwollend. Das wurde meines Erachtens vom Vorstand nicht wahrgenommen.
Last: Ich bin aus eigener Initiative in engem Kontakt mit dem Vorstand, damit er weiss, was meine Ziele sind. Das ist mir wichtig.
Zangger: Das Stichwort Haltung ist das A und O. Sie schafft Verbundenheit und strahlt in alle Aktivitäten aus. Die Kirchgemeinde ist ein Beziehungsnetz, das Pflege braucht. Beziehungsarbeit können Vorstand und Verwaltung nicht an die Pfarrämter delegieren. Sie müssen selber zu den Menschen gehen.
Kessler: Genau das unterstütze ich. Gern erinnere ich mich an die Älplermagronen unseres Pfarrers.

Die Kirchenverfassung sieht das Prinzip der «gemeinsamen Gemeindeleitung» vor. Werden die Strukturen von Refurmo dem gerecht?
Zangger: Die «gemeinsame Gemeindeleitung» ist wesentlich für die Zukunft. Vorstand und Konvent, also die Pfarrpersonen, müssen dazu eine Teamentwicklung machen – vor der Revisionsabstimmung am 29. No­vember. Die bisherige Kirchgemein­deordnung von Refumo definierte als Organe: Kirchgemeindeversam­mlung, -vorstand, -konvent und Geschäftsprüfungskommission. Neu sind die Pfarrpersonen bei den Gremien angesiedelt und nicht mehr bei den Organen. Die Pfarrperso­nen sind raus. Es geht nicht um das Stimm­recht, welches der Pfarrkonvent gut aus rechtlich nachvollziehbaren Gründen nicht haben kann. Es geht darum, ob man an der Auftei­lung orientiert ist oder der Zusammenarbeit. Diese Trennung nimmt uns Pfarrpersonen die Energie, den Karren am Laufen zu halten.
Ratti: Ich bin überzeugt, dass man alle dabei haben muss für Entscheidungsfindungen. Aber das hängt nicht davon ab, ob das in den Statuten als Organ oder als Amt aufgeführt ist. Bedeutet die «gemeinsame Gemeindeleitung», dass jeder Vorstandsentscheid noch einmal vor den Konvent muss, obwohl der ja mit einer Vertretung als beratende Stimme an den Vorstandssitzungen teilnimmt? Ist es nicht eher so, dass der Konvent sich übergangen fühlt, weil der Vorstand nicht die gleiche Meinung vertritt?
Zangger: Es geht nicht darum, den Konvent zufriedenzustellen, sondern dass all die unterschiedlichen Sichtweisen einfliessen können. Das war bis jetzt nicht möglich.

Was wären denn Ihre Wünsche für die Zukunft?
Ratti: Wir müssen aufeinander zugehen. Ich glaube nicht, dass wir kein offenes Ohr gehabt hätten, aber vielleicht zu wenig. Ich wünsche mir, dass wir diesen Prozess weiterentwickeln, und bin überzeugt, dass wir das schaffen. Allein diese Diskussion hier, das einander Zuhören ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Ernst: Ein Ansatz, wie wir besser zueinanderfinden können, ist, mit den gemeindeübergreifenden Aktivitäten weiterzufahren, wie etwa dem Morgenforum oder dem Markt der Möglichkeiten.
Bezzola: Mein Wunsch ist, dass der Vorstand offen, aktiv, zu Angestellten und Ehrenamtlichen hingeht und hinhört, damit das Potenzial zum Aufbau genutzt werden kann.
Last: Ich wünsche mir, dass wir bewusste, realistische Schritte gehen. Der Markt der Möglichkeiten und da ein vor Ort präsenter Vorstand könnte ein Anfang sein.
Zangger: Wir sind an einem Punkt, wo wir uns ent-scheiden müssen, um wieder zusammenwachsen zu können als Refurmo. Zu dieser Entscheidungsfindung wünsche ich mir eine klare Haltung von allen.
Kessler: Ich wünsche mir, dass wir den Weg weitergehen. Die Angebote von Refurmo sind Magnete für die Menschen.

«Refurmo» - ein Pionierprojekt

Seit 2002 arbeiteten Sils/Silvaplana/Champfér, St. Moritz, Celerina, Pontresina, Samedan, Las Agnas (Bever/La Punt-Chamues-ch), Zuoz/Madulain und S-chan unter der Dachorganisa­tion «Il Binsaun» («Seid willkommen») zusammen. 2017 gründeten sie «Re­furmo», vom Kirchenrat als Pionierprojekt bezeichnet, weil es aus der Basis hervorgegangen ist. Mit 35 Kilometern, 5400 Mitgliedern, 10 Pfarrpersonen/Diakonen, 52 Mit­arbeitenden und 29 Kirchen zählt «Refurmo» zu den grössten Schweizer Kirchgemeinden. Am Tisch sassen: Karin Last (Fachlehrperson Religion, Sozialdiakonin i. A.), Gertrud Ernst (Kirchenmitglied), Yvonne Kessler (Messmerin), Urs Zangger (Pfarrer), Gian-Duri Ratti (Kirchgemeinde­präsident), Roman Bezzola (Mitglied Projektleitung Refurmo).