Recherche 31. Januar 2023, von Rita Gianelli

"Wir müssen raus aus der Bubble"

Kirchgemeinde

Luzi Schucan aus Zuoz ist neuer Präsident der Oberengadiner Kirchgemeinde refurmo. Er will die Kirchenkreise stärken und der Jugend das Potenzial von Kirche vermitteln.

Seit dem 1. Januar amten Sie als neuer Präsident der Kirchgemeinde refurmo. Was haben Sie als Erstes in Angriff genommen?
Luzi Schucan: Als Erstes stand die Konstituierung des Vorstandes an. Der halbe Vorstand ist neu. In einer Kirchgemeinde unserer Grösse ist es wichtig, sich gut zu organisieren, damit man nicht auf der Stelle tritt. Ein zweites Thema ist das Mitwirken von Kirchgemeindemitgliedern, aber auch von kirchenfernen Menschen. Als grosse Organisation müs­sen wir uns die Frage stellen, wie wir nahe bei den Menschen bleiben. Aber ich habe mir ganz bewusst vor­genommen, kein vorgefertigtes Pro­gramm vorzulegen.

Sie haben kein Programm?
Kirche ist Gemeinschaft. Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen, sagte Jesus. Für mich heisst das, wir müssen gemeinsam Wege finden, damit das, was wir umsetzen, von allen getragen wird.

Wie möchten Sie die Menschen zum Mitmachen gewinnen?
Erst mal müssen wir wissen, was die Menschen bewegt. In Sils gibt es andere Themen als in S-chanf. Deshalb habe ich mir vorgenommen, jeden Monat zum Stammtisch einzuladen. Mein Ziel ist es, alle elf politischen Gemeinden im Gebiet von refurmo bis Ende Jahr besucht und vieles gehört zu haben.

Ist es überhaupt möglich, Nähe zu behalten, angesichts der geo­grafischen Distanzen der Kirchgemeinden im Oberengadin?
Vor der Fusion war die Nähe durch einen Vorstand in jeder einzelnen Gemeinde gegeben. Heute können wir als Vorstand allein keine Nähe herstellen. Deshalb müssen wir die Kirchenkreise stärken, indem wir ihnen mehr Kompetenzen erteilen. Wenn man immer zuerst den Vorstand kontaktieren muss, um etwas umzusetzen, wird es schnell ziemlich schwerfällig.

Hat man das bisher versäumt?
So wie ich das wahrgenommen habe, waren Budget und Kompetenzen sehr zentral geregelt. Das kirchliche Leben muss aber auch ohne Vorstand funktionieren. Das heisst, die Kreiskommissionen brauchen eine eigene Finanzkompetenz.

Ein Thema bei refurmo in den letzten Jahren waren die zahlreichen Kündigungen.
Eine Fusion ist nie einfach. Es ist unmöglich, alles gleich zu Beginn zu regeln, und wenn dann die Regelungen kommen, sind nie alle damit einverstanden. Ich sage immer: Mit der Fusion haben wir ein neues Haus bekommen. Jetzt geht es um den Innenausbau und die Frage, wie wir es wohnlich gestalten.

Wohnlich für Pfarrpersonen zum Beispiel. Wie begegnen Sie der Problematik des Pfarrmangels, der Graubünden besonders hart trifft?
Der Vorteil, den wir mit einer Kirchgemeinde der Grösse von refurmo haben, ist der, dass wir Pfarrpersonen besser nach ihren Eignungen und Neigungen einsetzen können, als das in einem Einzelpfarramt mög­­lich ist. Und wir haben mehr Möglichkeiten, einander auszuhelfen. Das ist schon mal eine gute Basis, um die Zukunft zu gestalten.

Was bedeutet Ihnen Kirche?
Der Glaube gibt mir eine Basis im Umgang mit Schwierigkeiten, die es im Leben gibt. Die Kraft, die ich aus dem Glauben gewinne, war meine Motivation, dieses Amt anzutreten. Meiner Meinung nach macht nichts resilienter als ein starker Glaube.

Sie sind mit dem Tourismus aufgewachsen. Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die Kirche für den Tourismus?
Wir sind Partner. Wir unterstützen uns gegenseitig, etwa in der Kommunikation bei Veranstaltungen. Wäh­rend der Saison nutzen Touristen unsere Angebote rege. Am Engadiner Marathon bieten wir einen Spezialgottesdienst für die Teilnehmenden in der Kirche in Pontresina an, dort, wo das «marathon village» steht. Alles, was wir machen, adressieren wir immer auch an Touristen. Deshalb sind unsere Gottesdienste zweisprachig, also romanisch und deutsch.

Was braucht refurmo dringend?
Vor allem zwei Dinge: Erstens brauchen wir die Jugend. Wir müssen Kirche so gestalten, dass sich auch junge Menschen darin verstanden fühlen. Zweitens: Wir müssen raus aus unserer Kirchen-Bubble, mitten ins Leben. Wir müssen den Zugang zu den Herzen der Menschen wieder finden. 

Luzi Schucan, 61

Der zweifache Familienvater studierte Betriebswirtschaft in St. Gallen und arbeitete bei der UBS unter anderem im Bereich Informatik und Touris­musfinanzierung in Zürich und Chur. Er absolvierte einen Masterlehrgang in Administration im Gesundheitswesen und war bis vor einem Jahr Mitglied der Geschäftsleitung der Stiftung Gesundheitsversorgung Oberengadin in Samedan. Er ist zudem Mitglied des Gemeindevorstandes in Zuoz, wo er mit seiner Familie lebt.