Schwerpunkt 25. April 2018, von Felix Reich

«In der Kommunikation ist Gott ein Problem»

Markt

Peter Felber berät als Marketingfachmann Kirchgemeinden. Er sagt, dass Marketing Liebe und manchmal auch ein schlecht besuchter Gottesdienst ein Erfolg ist.

Warum soll ich am Sonntag in die Kirche zum Gottesdienst statt zum Sonntagsbrunch mit Freunden?

Peter Felber: Wenn das für Sie eine Frage ist, kommen Sie wohl nicht. Der Sonntag ist für viele Menschen der Familientag. Als Dienstleisterin muss die Kirche überlegen, wann sie Menschen, für die der Sonntag keine Option ist, gottesdienstliche Erlebnisse ermöglicht.

Die Kirche soll vor anderen Freizeit­angeboten kapitulieren?

Die Kirche ist ein System, das von seiner Umwelt abhängig ist. Einst kapitulierte sie unhinterfragt vor der gesellschaftlichen Macht, welche die Leute am Sonntag aus Reputationsgründen in die Kirche zwang. Feiertage waren geschützt, es gab wenig Alternativen. «Wer unter euch gross sein will, sei euer Diener», steht in Markus 10,43. Dienen und dehnen sind verwandt: Ich muss mich auf das Gegenüber zubewegen, um es zu gewinnen. Nur so gelingt Kommunikation.

Und wenn sich die Kirche vor lauter Kundenfreundlichkeit verbiegt?

Die Kirche tut so, als müsste sie sich erst heute verbiegen, um sich anzupassen. Dabei passte sie sich schon früher an und profitierte unreflektiert von Zwangstrukturen.

Wozu braucht die Kirche Marketing?

Marketing definiert nur, wen ich wie ansprechen kann. Die Apostelgeschichte erzählt von der ersten Mar­ketingmassnahme der Urchristen: Sie trafen sich sonntags draussen vor der Stadt am Fluss. Ohne die Abmachung hätten sie nicht zusammengefunden. Marketing schafft also Gefässe für Kommunikation.

Sie sprachen vom Wegfall staatlicher Leitplanken, die der Kirche zugutekamen. Hat die Kirche also Angst vor dem freien Markt?

Der Marktbegriff verleitet zu ­ei­nem polemischen Denken. Zwar gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Firmen und Non-Profit-Organisatio­nen, zu denen ich die Kirche zähle: Beide müssen produktiv sein und dürfen keine Mittel verschleudern. In der Privatwirtschaft steht das Formalziel, Gewinn zu machen, im Vordergrund. Bei Institutionen wie der Kirche dominiert das Sachziel. Wobei auch sie Gewinn machen sollten. Nur fliesst er nicht in private Kassen ab, sondern wird gemeinnützig in Innovation investiert.

Wie lautet das Sachziel der Kirche?

Das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit mehren, das Evangelium des Friedens verkünden. So wie ich es in der pietistischen Tradition der Basler Mission gelernt habe.

Ist das ein guter Slogan?

Nein, weil er nicht verstanden wird.

Wie lautet eine werbetaugliche Übersetzung?

Unantastbarkeit des Lebens, Lebens­fülle, Lebensfreude, die Leid ertragbar macht. Jederzeit Chancen zum Neuanfang. Das sind die Schlüsselbegriffe der Botschaft.

Gott kommt nicht vor?

Gott ist ein Problem. Weil wir aus einer Zeit kirchlicher Zwangsstruk­turen kommen, haben wir reflex­artig vieles parat, was gegen den Begriff spricht. Daher stiftet Gott als Erstbegriff keine Kommunikation. Bei vielen Leuten gibt es eine Intimitätsgrenze, sie reden nicht in der Öffentlichkeit über ­ihren Glauben, es ist ihnen peinlich.

Es gibt aber durchaus auch Kräfte in der Kirche, für die es kein Problem ist, über Gott zu reden.

Evangelikale in der Landeskirche und Freikirchen sprechen so ungezügelt von Gott, weil sie sich auf ein Segment von vielleicht fünf Prozent der Bevölkerung spezialisiert haben. Sie fahren eine Konkurrenzstrategie gegen die Landeskirche: Seht her, wir sind die Rechtgläubigen. Als Theologe bin ich natürlich überzeugt, dass es ein Missverständ­nis ist, nicht über Gott reden zu wol­len. Die Kirche muss die Scheu der Menschen als Ausgangspunkt akzeptieren. Hier muss der Bezie­hungs­prozess anknüpfen, in dem Gott vielleicht als wirksame Realität entdeckt wird.

 

«Marketing bedeutet, die Kirche vom Mitglied her zu konstruieren und sich in die Dynamik der leiden­schaftlichen Liebe Gottes hineinzugeben.»

Peter Felber, Theologe und PR-Berater

 

Und wie kann es gelingen, mit dieser von Ihnen verlangten Zurückhaltung neu von Gott zu reden?

Dietrich Bonhoeffer sagte: «Nicht religiös von Gott reden.» Wir sind von der Aufklärung geprägt. Das fördert einen eindimensionalen Realitätsbegriff. Wir verstehen das Spiel mit der Fiktion nicht mehr und schätzen daher Religiöses gering. Doch Fiktion ist eine kreative Kraft. Sie schafft durch heutige Fiktionen künftige Realität. Ähnliches sehen wir im Kapitalismus: Wir arbeiten auf künftigen Gewinn hin, belehnen ihn aber schon heute. Genau so setzen wir auf die Fiktion des vollendeten Reiches Gottes: Es ist im Glauben schon da.

Ist Marketing die neue Mission?

Marketing ist Liebe. Das Alte Testament erzählt von einem Gott, der von seinem Volk ständig enttäuscht wird. Er ärgert sich zwar, und er bestraft, aber er gibt den Menschen immer wieder eine neue Chance. Er bewegt sich auf sie zu. Marketing bedeutet, die Kirche vom Mitglied her zu konstruieren und sich in die Dynamik dieser leidenschaftlichen Liebe Gottes hineinzugeben.

Eine Marketingmassnahme muss sich an ihrem Erfolg messen lassen. Wann ist die Kirche erfolgreich?

Ihr Erfolg lässt sich nicht in Zahlen messen. Kennzeichen einer lebendigen Kirche sind nicht viel Publikum und Halleluja-Gebrüll. Für den Erfolg im evangelischen Sinn ist entscheidend, wo Christlichkeit gelebt wird. Gott findet in einem Flüchtlingsprojekt vielleicht mehr statt als in einer vollen Kirche. Insofern bleibt der Erfolg unverfügbar.

Halbleere Kirchenbänke sind für Sie nicht zwingend ein Misserfolg?

Nein. Zahlen sind nicht alleiniges Erfolgskriterium. Es geht auch um Qualität. Wenn eine kleine Gruppe sich in Life-Style-Gottesdiensten intensiv mit biblischer Tradition auseinandersetzt, kann das Erfolg sein.

Sie plädieren für Profilgottesdienste. Aber eine zentrale Aufgabe der Kirche ist doch, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen.

Dass die Kirche als Klammer fungiert und alle Gesellschaftsschichten anspricht, ist ein Märchen. Diese Rolle wurde der Kirche zwar angedichtet. Selbst als die Kirchen noch voll waren, blieben die Leute aber in ihren sozialen Milieus, ein wirklicher Austausch fand nicht statt. Natürlich soll die Kirche integrativ wirken. Aber von ihr zu verlangen, die Gesellschaft zusammenzuhalten, ist realitätsfremd.

Alle reden von Communities. Warum profitiert die Kirche, die Gemeinschaft verspricht, nicht davon?

Communities bilden sich in spezifischen Milieus. In einer speziellen Sprache, mit unterschiedlichen Codes. Eben darum bietet die Kirche heute vermehrt auf eine Zielgruppe zugeschnittene Gottesdienstformen mit Eventcharakter an.

Müssen nun alle Kirchgemeinden Marketingexperten einstellen?

Kirche ist ein Ort, wo am meisten an der falschen Stelle an Wunder geglaubt wird. Es gibt einen Bereich, da geht es nicht um Wunder, sondern ganz einfach um Sorgfalt. Die Kirche ist zwar von ihrem Auftrag dominiert, sie muss aber auch verantwortlich mit ihren Ressourcen umgehen. Gemeinden, die sich mit einem überprüfbaren Gemeindekonzept auf den Weg machen, erreichen zwar nicht jedes Ziel, aber sie haben erfahrungsgemäss mehr Chan­­­­cen, Ziele zu erreichen.

War Jesus eigentlich ein guter Vermarkter seiner Botschaft?

Ja, weil er keine Berührungsängste hatte.

Peter Felber, 67

Nach dem Theologiestudium war Peter Felber neun Jahre Pfarrer in Beggingen SH und auch Sekretär der Landeskirche Schaffhausen, bevor er 1986 die Informationsstelle der Kirche Basel-Stadt übernahm. 1996 wurde Felber Partner von int/ext Communications. 2011 wechselte er für fünf Jahre zu Mission 21. Nach der Pensionierung kehrte er als Senior Advisor zur Kom­mu­nikationsfirma zurück.