Recherche 27. Juni 2018, von Felix Reich

Der Scheinwerfer ist nur geliehen

Ökumene

Der Papst besucht den Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. Das Geschenk, das er aus Rom mitbringt, hat der Rat bitter nötig: Aufmerksamkeit.

«Die Ökumene lebt von der Liturgie», sagt Martin Hirzel am 21. Juni im Zug, der ihn von Genf zurück nach Bern bringt. Es geht gegen Mitternacht. Der Pfarrer ist beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund Beauftragter für Ökumene und Religionsgemeinschaften und hat fünf intensive Sitzungstage am Sitz des ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) sowie einen Papstbesuch hinter sich.

Im Rat sind 350 Kirchen vertreten, die insgesamt eine halbe Mil­liarde Christinnen und Christen vertreten. Die katholische Kirche gehört nicht dazu, arbeitet aber in einigen Kommissionen mit. Sie hat mehr als doppelt so viele Mitglieder als die dem ÖRK angeschlossenen Kirchen und bildet somit ein eigenes ökumenisches Kraftzentrum. Umso wichtiger ist für die Organisation der Papstbesuch in Genf.

Ein Meister der Quoten

Ihr von Hirzel gelobtes Gespür für die Ökumene der Liturgie beweist die kirchendiplomatische Organisation sogleich. Der hohe Besuch aus Rom fügt sich ganz selbstverständlich ein in das vielstimmige Gebet in der modernen und sehr stimmungsvollen Kapelle. Neben Franziskus sprechen die methodistische Bischöfin Mary Ann Swenson aus den USA oder der armenische Erzbischof Vicken Aykazian und die protestantische Pfarrerin Viktorie Kopecká aus Tschechien.

Frauen und Männer, jung und alt, Süden und Norden: Der ökumenische Rat ist ein Meister der Quoten. Auch die Lieder vom aramäischen Kyrie über das argentinische Santo bis zum australischen Spiritual atmen den Geist der weltumspannenden Dimension des Christentums. In seiner schlichten Feier-
lichkeit ist das Gebet ein eindrückliches Zeichen, wie der gemeinsam bezeugte Glaube dogmatische Grenzen überwinden kann. Denn natürlich sind die Gegensätze in Genf bereits gross genug, auch wenn die katholische Kirche mit ihrer eigenen Vorstellung von Einheit abseits steht. Häufig blockieren die orthodoxen Kirchen gesellschaftlich fortschrittliche Erklärungen beispielsweise in Genderfragen.

Neben der Theologie ist die Friedensarbeit ein wichtiges Standbein des 1948 als religiöses Pendant zu den Vereinten Nationen gegründeten Rats. Hirzel nennt als Beispiel die Bemühungen um einen Abbau der Spannungen zwischen Südkorea und dem kommunistischen Norden. In beiden Ländern gibt es verschiedene protestantische Kirchen, die in Genf schon lange vor dem aktuellen Tauwetter eine Plattform für den Dialog gefunden haben.

Die Schlüsselrolle der Frauen

Die Vorsitzende des Zentralausschusses im ÖRK, Agnes Abuom, die der anglikanischen Kirche in Kenia angehört, verweist später gegenüber dem Papst auf die gemeinsame Friedensarbeit in Afrika. «Im Südsudan ist es besonders wichtig, dass sich die christlichen Kirchen als eine Einheit wahrnehmen.» In Abweichung vom Skript betont Abuom die Schlüsselrolle, welche die Frauen in Versöhnungsprozessen spielen, und verurteilt die grassierende Gewalt gegen Frauen und Kinder. 

Hirzel erklärt gegenüber «reformiert.», dass vor allem die südamerikanischen Kirchen immer wieder Stellungnahmen des Rates einfordern. Sie seien interessiert daran, aus Genf Positionsbezüge in ihre eigenen Kirchen zurückzubringen.Aktuell setzt sich der ÖRK in Kolumbien für Versöhnung ein. 

Auch die Situation der Christen im Nahen Osten kommt am Tag des Papstbesuchs zur Sprache. Während Franziskus in seinem Fiat vom Flughafen zum nahen Sitz des Rates gefahren wird, verabschieden die Delegierten eine Erklärung, in der sie ein Ende des Konflikts und «Frieden und Demokratie für das syrische Volk» fordern. 

Das Gebet ist der Sauerstoff 

In der Andacht am Morgen wirkt Franziskus etwas erschöpft und so alt, wie er mit seinen 81 Jahren halt nun einmal ist. Präsenter ist er am Nachmittag, als im Saal neben der Kapelle das offizielle Treffen zwischen Papst und Spitzenvertretern des ÖRK stattfindet. Franziskus stellt die Jubiläumszahl 70 ins Zentrum. Sie stehe mit der Aufforderung von Jesus an Petrus, «nicht bis zu siebenmal, sondern bis zu siebenundsiebzigmal» zu vergeben (Matthäus 18,22), nicht nur für die «Unendlichkeit der Vergebung», sondern auch für die Mission. Denn 72 Nachfolgerinnen und Nachfolger sendet Jesus aus (Lukas 10,1–12). Das «Mandat der Mission» sei mehr als Diakonie, hält der Papst fest, es gehöre zur Identität der Kirche. «Gottes Volk kann nicht auf den Status einer Nichtregierungsorganisation reduziert werden.» 

Das Gebet bezeichnet Franziskus als den «Sauerstoff der Ökumene». Und betont, dass zur Mis­sion zwingend die Diakonie gehört. Jesus sei nicht gekommen, «um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen» (Markus 10,45). Das gelte auch für seine Nachfolgerinnen und Nachfolger. In diesem Zusammenhang kritisiert der Papst in der Calvinstadt jene evangelikalen Strömungen entschieden, die ein Wohlstandsevangelium predigen: «Besonders traurig» sei die Haltung jener, «die ihre eigenen Privilegien eher als Zeichen von Gottes Erwählung sehen als in ihnen den Ruf erkennen, der menschlichen Familie mit Verantwortung zu dienen und die Schöpfung zu bewahren».

Der Pilgerweg zur Einheit 

Die grossen ökumenischen Stolpersteine erwähnt Franziskus in Genf nicht. Kein Wort zum Amtsverständnis und zur Eucharistie, welche die Kirchen trennen. Er konzentriert sich ganz auf das Motto, mit dem der ÖRK den «ökumenischen Pilgerweg», dem der Tag gewidmet ist, überschrieben hat: «Gemeinsam gehen, beten und arbeiten». Zur Zusammenarbeit bekennt er sich, als er sagt, der Vatikan werde weiterhin «hoch qualifizierte Theologen» in die Kommissionen entsenden, um in dogmatischen Fragen an einer Annäherung zu arbeiten, und den Rat in Friedensarbeit und interreligiösem Dialog unterstützen. 

Das wichtigste Geschenk, das der Papst dem ÖRK aus Rom mit­gebracht hat, ist Aufmerksamkeit. Denn die Organisation, die am Genfer Sitz Neubauten plant, nicht um zu expandieren, sondern um durch Mieteinnahmen die eigene Existenz zu sichern, fristet ein Schattendasein. Freilich bleibt abzuwarten, wie lange das Scheinwerferlicht, das am 21. Juni auf den Rat gerichtet war, nachwirken wird. Denn obwohl er sich ganz bescheiden in die Andacht am Vormittag eingefügt hat, medial überstrahlt hat Papst Franziskus trotzdem alles.