Recherche 09. Februar 2024, von Cornelia Krause

«Der letzte Aufstand verursachte Risse»

Kultur

Die iranische Regisseurin Sepideh Farsi setzt sich kritisch mit ihrem Land auseinander. Sie spricht über das Leben im Exil, Hoffnung auf Umsturz und ihren neuen Film «Die Sirene».

In vielen Ihrer Filme geht es um die aktuelle Lage im Iran. Warum haben Sie sich in «Die Sirene» mit dem Ersten Golfkrieg, einem historischen Stoff, beschäftigt?

Sepideh Farsi: Dieser Krieg hat die gesamte Region verändert, und er wirkt bis heute nach, nicht nur im Iran und im Irak, sondern im ganzen Nahen Osten. Die Regierung im Iran nutzte den Krieg, um ihre Macht zu stärken. Dennoch wurde er zu schnell zu den Akten gelegt, darum wollte ich das Thema noch mal ausgraben. Und ich wollte den Krieg aus der Sicht eines Jugendlichen zeigen, der die Wahl hat: Soll er daran teilnehmen oder nicht, und wenn ja, in welcher Form?  

Sie haben diese Zeit selbst als Jugendliche erlebt. Welche Erinnerungen haben Sie?

Ich war so alt wie der Protagonist Omid, als der Krieg begann, ich erinnere mich gut. Vor der Revolution herrschte kein Krieg, man könnte sagen, das waren gute Zeiten. Doch auch damals lebten wir in einer Diktatur. Meine Familie war gegen die Schah-Regierung, Cousins und Cousinen waren in Haft, einige wurden getötet. Vor wie nach der Revolution gab es Opfer in meiner Familie. Die Diktatur, die sich dann etablierte, war einfach noch schlimmer als zuvor und mischte sich in alle Ebenen des Lebens ein.  

Sie wurden mit 16 inhaftiert. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich hatte einem 19-jährigen Mädchen, das ich aus der Schule kannte, geholfen, sich vor den Revolutionsgarden zu verstecken. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dafür so hart bestraft zu werden. Oder gar gefoltert und getötet zu werden, wie einige der Mädchen, die ich im Gefängnis kennen lernte und von denen die jüngsten zwölf Jahre alt waren. Dass ich verhaftet wurde, legte sich wie ein Schleier auf mich. Zu Beginn war ich paralysiert, auch als ich nach einem Jahr freigelassen wurde, ging ich zwei Jahre kaum aus dem Haus. Später dann nutzte ich die Chance, nach Frankreich zu gehen. Rückblickend hat mich diese Erfahrung, glaube ich, stärker gemacht.

Ihre Filme sind im Iran verboten

Sepideh Farsi wurde 1965 in Teheran geboren und floh 1984 vor dem Regime nach Paris.  In ihren Filmen setzt sich die Regisseurin kritisch mit ihrer Heimat auseinander, alle ihre Werke sind im Iran verboten. 2009 drehte sie den Dokumentarfilm «Tehran without permission», in dem sie ihre Heimatstadt ausschließlich mit Hilfe einer Handykamera porträtierte. Für «Daughters of Iran», der die Frauenproteste in 2022 dokumentierte, griff sie auf Handyvideos aus dem Netz zurück. «Die Sirene» ist Farsis erster Animationsfilm.

«Die Sirene» spielt in der Hafenstadt Abadan. Warum gerade dort?

Die Belagerung der Stadt war ein schlimmes Kapitel im Krieg, bei dem die Bewohner Resilienz bewiesen. Abadan war eine sehr multikulturelle Stadt. Durch die Ölindustrie lebten dort zahlreiche Ausländer, es gab auch die iranische armenische Gemeinschaft. Die Bewohner der Provinz Chuzestan haben eine besondere Kultur, eine besondere Musik, bei der die Trommel eine wichtige Rolle spielt. Diese Vielschichtigkeit wollten der Drehbuchautor Djavad Djavahery und ich zeigen.  

Die religiösen Bezüge, auch zum Christentum, etwa durch armenische Priester, überraschen.

Die armenische Gemeinschaft ist Teil des Iran, ich hatte in der Schule armenische wie jüdische, Bahai- und zoroastrische Freunde. Doch das Bild des Iran als Vielvölkerstaat sieht man von aussen nicht oder nur selten. Seit der Revolution sind die Bilder vor allem schwarz-weiss, ich aber möchte Nuancen zeigen.

Warum fehlen die Zwischentöne? Liegt das am Regime oder schauen wir nicht genau hin?

Beides. Das Regime will sich radikal präsentieren. Da ist eine Schicht von politischem Radikalismus, die alles überdeckt. Und die westlichen Medien suchen die Aktualität. Zudem wird Journalisten die Arbeit massiv durch Zensur erschwert.

Sie leben seit 40 Jahren im Exil, beschäftigen sich in Ihrer Arbeit dennoch ständig mit Ihrer Heimat.

Ich kenne viele Schriftsteller oder Künstler, die im Iran nicht arbeiten können, aber bleiben, weil sie sonst ihre Seele verlieren würden. Mir fällt es auch nicht leicht, ich habe mir einen Schildkrötenpanzer zugelegt. Nach aussen bin ich jemand anderes als innen drin. Das ist jetzt meine Persönlichkeit. Würde ich die Entscheidung noch einmal so treffen? Ich weiss es nicht.

Zwar haben westliche Politiker den Aufstand mit Worten unterstützt, doch gleichzeitig machen die Länder weiterhin gute Geschäfte mit dem Iran.
Sepideh Farsi, iranische Regisseurin

2022 dokumentierten Sie die Frauenproteste nach dem Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam. Der Aufstand wurde weitgehend niedergeschlagen. Ist ein Regimewechsel überhaupt denkbar?

Wir hatten schon viele Aufstände, seit 1979 gab es immer wieder Demonstrationen von Frauen, und sie wurden mit Gewalt niedergeschlagen, 2009 die grüne Revolution, vor deren Hintergrund mein Film «Red Rose» spielte. Letztes Jahr dachten wir, diesmal schaffen wir es, und ich glaube weiterhin, dass das Ende des Regimes naht. Der Widerstand ist noch da. Aber vorerst kam es aus verschiedenen Gründen anders.  

Aus welchen?

Die Opposition ist nicht gut organisiert, auch weil es durch jahrzehntelange Repression im Iran ja keine richtige politische Opposition gibt. Es fehlt die Führung. Und der Westen hat nicht genug Druck gemacht. Zwar haben westliche Politiker den Aufstand mit Worten unterstützt, doch gleichzeitig machen die Länder weiterhin gute Geschäfte mit dem Iran. Es bräuchte mehr Boykotts, härtere Sanktionen.  

Ist ein Regimewechsel angesichts der Macht der Revolutionsgardennicht ohnehin illusorisch?

Ich glaube, es ist möglich und kann dann sehr schnell gehen. Auch weil die Wirtschaft sehr schlecht läuft. Wer hätte vorausgesagt, dass eine so grosse politische und wirtschaftliche Struktur wie die Sowjetunion auf einmal auseinanderfällt? Natürlich haben die Garden viel Macht, wirtschaftlich und politisch. Aber auch sie haben Schwächen. Der letzte Aufstand verursachte auch in der Regierung politische Risse, wenn man genau hinschaut. Es fehlt noch etwas, ein Funke, um dieses Regime wegzubekommen.

Die jungen Menschen sind mit so vielen Beschränkungen aufgewachsen, sie sind wilder, mutiger als wir damals. Und sie kennen das System besser, können es effektiver bekämpfen.
Sepideh Farsi, iranische Regisseurin

Welche Rolle spielt die junge Generation im Iran dabei? 

Eine entscheidende. Die jungen Menschen sind die zweite oder gar dritte Generation seit der Revolution. Sie sind mit so vielen Beschränkungen aufgewachsen, sie sind wilder, mutiger als wir damals. Und sie kennen das System besser, können es effektiver bekämpfen. Durch die sozialen Medien und das Internet sind sie umfangreicher informiert und anders organisiert.   

Mit dem Nahostkonflikt rückt der Iran stark in den Fokus der Weltpolitik. Ist ein Regimewechsel von aussen eine Sorge der Menschen? 

Ja, diese Angst besteht, aber einen Regimewechsel von aussen will niemand. Das hat nie funktioniert, egal ob im Irak, in Afghanistan oder sonst wo. Am Ende nimmt die Bevölkerung noch mehr Schaden. Die Menschen fordern nie militärische Unterstützung, sie brauchen politische: Menschenrechte, wirtschaftlichen und politischen Boykott und freies Internet.