Recherche 26. November 2020, von Sandra Hohendahl-Tesch

Banner müssen nicht verbannt werden

Politik

Die Kirchen und Pfarrer dürfen sich weiterhin für die Konzernverantwortungsinitiative engagieren. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde der Jungfreisinnigen abgewiesen.

Kirchgemeinden und Pfarrpersonen dürfen Flagge zeigen: Und zwar für die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi), über die in wenigen Tagen abgestimmt wird. Dies hat das Bundesgericht am 24. November entschieden, nachdem die Jungfreisinnigen in den vier Kantonen Aargau, Bern, St. Gallen und Thurgau Anfang November eine Stimmrechtsbeschwerde eingereicht hatten. Das kirchliche Engagement verstosse gegen die Bundesverfassung, begründeten sie den Schritt. Als öffentlich-rechtlich anerkannte Körperschaften hätten die Kirchen politisch neutral zu sein. Um so mehr, als dass sie von Privaten und teilweise Unternehmen Steuern erheben. Sie forderten: «Sämtliche weitere Interventionen in den Abstimmungskampf müssen umgehend untersagt werden.»

Biblische Botschaft

Das Bundesgericht ging auf diese Forderung nicht ein. Es begründetet dies insbesondere damit, dass die Beschwerde kurz vor dem Abstimmungstermin vom 29. November einging. Das Eingreifen mit Massnahmen wäre zu diesem Zeitpunkt «nicht mehr gerechtfertigt», heisst es in der entsprechenden Verfügung. Die grundsätzliche Frage, ob Kirchen politisch neutral sein müssen oder nicht, hat das Bundesgericht im gleichen Zug auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Mit Erleichterung nimmt Martin Schmidt, Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen, den richterlichen Entscheid zur Kenntnis. Die Kovi greife ein zentrales Anliegen der biblischen Botschaft auf und sei somit ein Kernanliegen: Die Menschenwürde und die Bewahrung der Schöpfung. Für die mitbeteiligten Kirchgemeinden sei klar, dass Konzerne für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zukünftig gerade stehen müssten. Zwar sei die St. Galler Kirche mit politischen Stellungnahmen und Abstimmungsempfehlungen in der Regel zurückhaltend. Persönlich beurteilt er etwa die Beflaggung von Kirchtürmen oder eine Positionierung im Gottesdienst skeptisch. «Aber grundsätzlich sind wir als Landeskirche vom Staat aufgefordert, am Wohl der Gesellschaft mitzuwirken und uns einzubringen.» 

Mit Spannung erwartet

Enttäuscht sind die Beschwerdeführer. «Es ist schade, dass das Bundesgericht nicht den Mut gefunden hat, die politischen Aktivitäten der Kirche jetzt zu unterbinden», sagt der Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, Matthias Müller, auf Anfrage. Mit ihren «Propagandaaktionen» wie der Beflaggung von Kirchen und Kirchtürmen und «propagandistischen Predigten» sei die Kirche definitiv zu weit gegangen.

Er sei daher zuversichtlich, dass die Lausanner Richter dies auch so sehen werden. Das Bundesgericht halte in der Verfügung lediglich fest, dass es so kurz vor der Abstimmung keine Verbote verfügen will. «Hierfür habe ich sogar noch Verständnis», sagt Müller. Die Grundsatzfrage, ob und wie weit sich die öffentlich-rechtliche Kirche in nationale Abstimmungskämpfe einmischen darf, gelte es indes noch zu klären.

Auch der der St. Galler Kirchenratspräsident Martin Schmidt ist gespannt auf das  Präzendenzurteil aus Lausanne. Dass dieses am Abstimmungsergebnis im Falle eines Ja etwas ändern könnte, glaubt er nicht. «Sonst müsste man ganz viele andere Wahlergebnisse ebenfalls überprüfen», sagt Schmidt. 

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