Für eine Kirche, die auf die Menschen zugeht

Pfarramt

Christian Walti ist seit einem halben Jahr Pfarrer am Grossmünster. Er will mithelfen, dass die Kirche präsent ist in der Öffentlichkeit und offen für unterschiedliche Menschen.

Ein sommerlicher Abend auf dem Münsterhof in Zürich. Die Grossmünsterpfarrer Christian Walti und Martin Rüsch haben zur Tavolata eingeladen. Ein langer Tisch und ein Mahl für alle, die sich auf die Einladung der Kirche einlassen. 

Walti trat seine Stelle am Grossmünster im Februar an. Er unterhält sich mit vielen, interessiert und fokussiert, manchmal überraschenderweise auch etwas schüchtern. 

Zwei Monate später zieht er eine Zwischenbilanz: «Es ist ein tolles Format.» Er habe viele Leute kennengelernt, auch solche, die nicht mit dabei waren, ihn aber später kontaktierten. Inspirieren liess er sich von der Zusammenarbeit mit den Gastronomiebetrieben. «Sie haben in der Gesellschaft eine ähnliche Rolle wie die Kirche, wir sollten mehr mit ihnen zusammenarbeiten.» Christian Walti freut sich auf die drei weiteren Tavolatas im September und das grosse Finale der Aktion, das am Bettag im Grossmünster stattfindet.

Eine andere Art Gemeinde 

Soeben war Walti auf einer Gemeindereise in Armenien unterwegs, einem Land, das er schon oft besucht hat. Die Reisegruppe war bunt zusammengewürfelt von Jung bis Alt und längst nicht nur aus Zürich. 

Wie seine Gemeinde am Grossmünster, die ja keine Gemeinde im klassischen Sinn sei. «Es sind Leute aus dem ganzen Kanton, die aus verschiedensten Gründen einen Berührungspunkt haben mit dem Grossmünster.» Und natürlich gehörten auch die vielen Touristen und Touristinnen dazu. 

Schaufenster der Kircher 

Bekannt geworden ist Christian Walti in den letzten Jahren mit seiner unkonventionellen Arbeit an der Friedenskirche in Bern. Doch eigentlich ist er Zürcher. 

Er ist in Zollikon aufgewachsen und hat in Zürich Theologie studiert. Durch Werner Gysel, seinen Religionslehrer an der Schule, lernte er früh das Grossmünster kennen. Gysel überliess die Kirche seinen Schülern und Schülerinnen jeweils für eine ganze Nacht. 

Seit an den Schulen das Fach Religion nicht mehr von Pfarrpersonen unterrichtet wird, die zur Konfirmation motivierten, ist es schwierig geworden, am Grossmünster jedes Jahr eine ganze Klasse zusammenzubringen. In der Altstadt leben wenige Familien. Für dieses Jahr ist es schliesslich doch gelungen. 

«Es liegt mir am Herzen, dass junge Menschen im Grossmünster präsent sind und die Arbeit mitgestalten, sonst bekommt unsere Kirche keine neuen Impulse.» Insbesondere die urbanen, grossen Kirchen seien ein Schaufenster. Wenn sie nicht voll von Leben seien, seien sie nicht attraktiv und würden kaum mehr Menschen anziehen. 

Mindestens einen Tag in der Woche wird der Grossmünsterpfarrer ab September als Seelsorger in der Bahnhofkirche tätig sein. Für Walti eine ideale Kombination: Seelsorge am Hauptbahnhof, dem grössten Zürcher Durchgangsort, den täglich fast gleich viele Leute frequentieren wie die 750 000, die das Grossmünster in einem Jahr besuchen. 

«Mit den vielen Anlässen kommt die Präsenz im Grossmünster oft zu kurz», findet Walti. Ein neues Freiwilligenprojekt ist im Aufbau und selber möchte der Theologe auch öfter im Kirchenraum sein. 

Denn Sichtbarkeit sei unabdingbar. «Unsere Kirche muss präsent sein in der Öffentlichkeit.» Das sei ja ein Wesensmerkmal der Landeskirche: dass sie für alle Menschen da sein wolle, unabhängig von der Mitgliedschaft. «Noch immer vernachlässigen wir ganz viele Leute, weil wir sie nicht kennen», sagt Walti. 

Dort spielt für ihn die künftige Musik der Kirche. Er zitiert Bonhoeffer: «Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.» 

Walti will keine Angst haben vor dem Mitgliederschwund. Natürlich gebe es dann weniger Geld für diakonische Projekte. «Doch wenn wir uns einsetzen für etwas, uns hingeben, passiert Verwandlung.» Jesus habe sich ganz hingegeben bis zum Kreuz. Seine Auferstehung versteht Walti als Verwandlung, die immer und überall geschehen kann. 

Den Boden spüren 

So viele Ideen und Projekte stehen im Raum. Dabei sei er noch nicht ganz angekommen in Zürich, erzählt Walti. Er nennt das französische Wort «atterrir» für landen. 

Es fehle ihm noch an der «terre», dem Boden. Er sei noch etwas desorganisiert, brauche Zeit, um seine Schwerpunkte auszuloten. Doch er tröstet sich: «Das gehört zu den Anfängen dazu.»