Ein Ort der Fürsorge und Begegnung

Diakonie

«Spiis und Gwand» der reformierten Kirche Oftringen erfüllt wichtige Aufgaben in der Region: Es unterstützt Menschen mit begrenztem Budget und in schwierigen Lebenssituationen. 

Heute Mittag sind die Leute von der «Schweizer Tafel» etwas spät dran. Es ist bereits kurz nach 13.30 Uhr, als der gelb-grau beschriftete Transporter rückwärts zum Wareneingang des mehrstöckigen Gewerbegebäudes an der Aeschwuhrstrasse in Oftringen fährt. Hier ist seit Anfang Jahr «Spiis und Gwand» eingemietet, ein Bistro mit Secondhand-Kleiderladen, betrieben von der reformierten Kirche Oftringen. 

Emsig tragen die Fahrer Kiste um Kiste mit abgelaufenen Lebensmitteln und Hygieneartikeln vom Auto ins Lokal. Die Mitarbeitenden der Stiftung Schweizer Tafel sammeln im Detailhandel, bei Grossverteilern und in der Industrie täglich 30 Tonnen überschüssige Ware ein und verteilen sie an rund 500 soziale Institutionen – darunter auch Spiis und Gwand.  

Routiniert packen die Freiwilligen der Kirche die Kisten aus, arrangieren alles hübsch auf Tischen, rüsten welkes Gemüse, stellen die Frischwaren in den Kühlschrank. Eine Stunde später sind sie fertig. Zeit für ein kurzes Innehalten und Zusammenkommen im Team.

Mehr Platz dank Umzug 

Spiis und Gwand gibt es bereits seit über 20 Jahren. Das Projekt war bis Ende 2024 in Küngoldingen beheimatet. Das neue Lokal in Oftringen ist  doppelt so gross, hoch und hell. Nicht nur die vielen Secondhand-Kleider und -Schuhe können nun ansprechend präsentiert werden. Auch die Kaffeebar und das Bistro mit Kinderspielecke an der Fensterfront wirken freundlich und laden zum Verweilen ein. 

Jeweils am Donnerstagnachmittag ist das Lokal nur für Menschen in finanziell schwieriger Lage offen. Gegen einen symbolischen Betrag von einem Franken erhalten sie je nach Haushaltsgrösse eine oder zwei Taschen Lebensmittel. 

Sechs Freiwillige im Pensionsalter und die beiden Leiterinnen Rita Klöti und Nelli Domahidi, von der Kirche je in einem 20-Prozent-Pensum angestellt, sitzen jetzt im Kreis um ein Bistrotischchen. Klöti blickt in die Runde: «Wollen wir anfangen?» Alle nicken, die 55-Jährige faltet die Hände und betet: «Jesus, hilf uns, dass wir die Leute, die heute zu uns kommen, mit deinen Augen, mit deinen Ohren und deinem Herz anschauen dürfen.» Sie dankt für alle, die heute mithelfen, zwei Freiwillige sprechen ein Gebet. Danach legen sie gemeinsam fest, wer welche Aufgabe übernimmt. 

Als um 15 Uhr die Tür geöffnet wird, warten bereits über 30 Leute auf Einlass. Am Eingang zeigen sie ihre Berechtigungskarte, erhalten ein Holzklämmerli mit einer Nummer, die wie am Postschalter festlegt, in welcher Reihenfolge sie zur Essensausgabe dürfen. 

Ich kenne alle hier und komme an jedem Tag, wenn geöffnet ist – um zu reden. Ich brauche diesen Ort, er tut mir gut.
Rezaei Reyhaneh, 33, Kundin

Wer nicht zu den Ersten zählt, stöbert durch die Kleider. Andere steuern direkt das Bistro an, bestellen Kaffee, Tee oder Mineral und ergattern ein Stücklein Patisserie von der Bäckerei Wälchli. Es wird geredet, gelacht, man kennt sich, die Stimmung ist fröhlich. Eine Ukrainerin bringt den Freiwilligen ukrainische Pralinés mit, als Dankeschön für ihre Hilfe. Auch die Begleitung von Menschen, die sich beispielsweise  durch Flucht in belasteten Lebenslagen befinden, ist Teil des sozialen Projekts Spiis und Gwand.

Über die Hemmschwelle 

Bei der Essensabgabe zugelassen sind Leute, die Sozialhilfe beziehen, aber auch solche, die mit ihrem Einkommen kaum über die Runden kommen. «Wir rufen nicht das Steueramt an, sondern glauben ihnen», sagt Klöti. Etwa 80 bis 90 Prozent der Kunden sind eingewandert und leben in wirtschaftlich prekären Verhältnissen. Für Schweizerinnen und Schweizer sei die Hemmschwelle auf jeden  Fall grösser, sich bedürftig zu zeigen, so die Co-Leiterin.

Barbara Nydegger aus Brittnau bestätigt dies: «Ich habe mich zuerst geniert herzukommen», sagt die 73-Jährige im farbigen Look und mit rosa Strähnen im kurzen Haar. Sie lebt von der AHV und Ergänzungsleistungen und kann sich – dank Essen, Kleidern und Schuhen von Spiis und Gwand – sogar gelegentlich ein Mittagessen im Restaurant leisten. «Das hilft mir dabei, soziale Beziehungen zu pflegen», sagt die alleinstehende Frau.

Für Rezaei Reyhaneh, auch Rihanna genannt, ist das Wichtigste der Kontakt mit den Leuten. «Ich kenne alle hier und komme an jedem Tag, an dem geöffnet ist – einfach um zu reden», sagt die 33-jährige Frau aus Afghanistan und strahlt. Sie lebt mit ihrem Mann, den 12- und 14-jährigen Söhnen und ihrer depressiven Schwiegermutter zusammen und sagt: «Ich brauche diesen Ort, er tut mir gut.»

Sinnvolle Tätigkeit 

Um 16.15 Uhr sind alle Kunden gegangen, die Tür ist zu, das Team macht Kaffeepause. «Es ist nötig und macht Sinn, hier mitzuhelfen», sagt Brigitta Zaugg, eine 73-jährige Freiwillige aus Rothrist.  In dreissig Minuten geht es nochmals los. Dann kommt die nächste Gruppe , um den zweiten Teil der Lebensmittel abzuholen.