Sie unterstützen die Initiative für mehr Selbstbestimmung am Lebensende. Wie begegnen Sie der theologisch begründeten Ansicht, die Suizid als Sünde betrachtet?
Heinz Rüegger: Diese Haltung entspricht vor allem der katholischen Position, die ich jedoch für problematisch halte. In der Bibel gibt es keine explizite Verurteilung des Suizids. Einige Geschichten berichten einfach darüber, etwa die von Saul oder Judas. Erst später kam die Ablehnung durch Kirchenväter wie Augustinus, die betonten, dass nur Gott über Leben und Tod verfügt. Diese Vorstellung ist überholt.
Wie sieht die Realität heute aus?
Heute müssen wir in vielen Fällen so oder so entscheiden, wie lange wir medizinisch gegen das Sterben angehen und wann wir es bewusst zulassen. Die meisten Fälle von selbstbestimmtem Sterben haben also gar nichts mit Suizid zu tun, sondern mit dem Verzicht auf lebensverlängernde Massnahmen. Diese Entscheidungen müssen wir selbst fällen, können sie nicht einfach Gott überlassen. Geburtenplanung am Anfang und selbstbestimmtes Entscheiden über das Sterben am Ende des Lebens liegen weitgehend in unserer eigenen Verantwortung.
Welche Haltung sollte die reformierte Kirche einnehmen?
Sie soll die Menschen in ihrem Entscheidungsprozess begleiten und sie unterstützen, ethische Entscheide am Lebensende zu treffen, etwa bei lebensverlängernden Massnahmen. Gleichzeitig sollte die Kirche sich klar zur Selbstbestimmung positionieren und damit ein Zeichen der Unterstützung für die persönliche Freiheit setzen. Bei der Frage nach assistiertem Suizid in Heimen sollte die reformierte Kirche für dessen Zulassung eintreten. Das bedeutet freilich nicht, assistierten Suizid zu fördern, vielmehr gilt es den individuellen Entscheid als Teil menschlicher Freiheit anzuerkennen.
Der Kirchenrat hat eine Stellungnahme zur Initiative verfasst. Wie ordnen Sie diese ein?
Sie bezieht gar nicht Stellung und stellt den assistierten Suizid als eine Unterbrechung der Palliativpflege dar, weil dann externe Organisationen übernehmen. Dabei kann der assistierte Suizid, ebenso wie andere Formen des selbstbestimmten Sterbens, durchaus Teil einer modernen Palliativkultur sein. Gute Palliativpflege bedeutet interdisziplinäre Zusammenarbeit, intern und extern, zum Wohl der Patientinnen und Patienten. Da gibt es keine Unterbrechung der Palliativpflege.