Der Kanton Graubünden feiert Geburtstag. Vor 500 Jahren, also 1524, haben die Herren und Gemeinden der drei Bünde sich zum Freistaat Gemeiner Drei Bünde, dem Vorläufer des heutigen Kantons, zusammenschlossen. Das historische Ereignis wird unter anderem mit sogenannten Bundstagen gefeiert. Im Freistaat der Drei Bünde waren die Bundstage die wichtigsten Versammlungen und bildeten damals die höchste politische Instanz.
Graubünden wird 500 Jahre alt und die Kirchen feiern mit
In ökumenischer Zusammenarbeit konzipierte Projektleiter Paolo Tognina ein Programm aus einer Wanderausstellung über den Glauben im heutigen Graubünden, Bundstag und Theaterstück
Immer Dreisprachig
Im Jubiläumsjahr lebt diese Tradition neu auf, und auch die Kirchen veranstalten am 1. September in Samedan einen Bundstag. Projektleiter und Pfarrer Paolo Tognina aus Poschiavo hat mit einem ökumenischen Organisationskomitee das Programm mit dem Titel «Glaube – Fede – Cretta» erarbeitet. «Für uns ist es wichtig, dass alle unsere Angebote dreisprachig sind und viele Menschen im Kanton ansprechen.»
RTR überträgt live
Am Bundstag in Samedan wird zum Auftakt ein ökumenischer Gottesdienst in der reformierten Kirche gefeiert, der von RTR live produziert und von SRF und RSI ausgestrahlt wird. Anschliessend gibt es ein Volksfest mit einem Apéro riche für alle, Musik, einer szenischen Dorfführung, einem Programm für die Kinder und dem Auftakt der Theatertournee des Bergeller Künstlers Luca Maurizio. Er hat eigens für das grosse Jubiläum das Stück «Deus in Burn-out. Rettet Graubünden die Welt?» geschrieben. Ein satirisch-philosophisches Kabarett erwarte das Publikum, verrät Tognina.
Revolutionärer Charakter
«Die Geschichte des Kantons ist auch die Geschichte der Kirchen», sagt Paolo Tognina. Insbesondere die Ilanzer Artikelbriefe von 1524 und 1526, die das Kirchenwesen im Interesse der Gemeinden neu regelten, hatten geradezu revolutionären Charakter für die damalige Zeit. Der Machtbereich des geistlichen Gerichts am bischöflichen Hof wurde erstmals eingeschränkt. «Im Grunde hat hier die Trennung von Kirche und Staat ihren Anfang genommen», sagt der Theologe. Und: Die Gemeinden hatten von nun an das Recht, ihre Pfarrer selbst zu wählen und zu entlassen. Mit der Wahl eines evangelischen Predigers oder eines katholischen Priesters entschied die jeweilige Gemeinde zugleich über ihre Konfession.
Kabarett zum Lachen und Nachdenken
Auf dem Bundstag in Samedan findet auch der Auftakt der Theatertournee «Deus in Burn-out. Rettet Graubünden die Welt?» statt. Der Bergeller Luca Maurizio analysiert in seinem etwa eine Stunde dauernden Stück unsere
derzeitige materielle Besessenheit und den Optimierungskult zwischen Diäten und ekstatischen Yogastunden. Sogar Gott gerate da in ein Burn-out. Maurizio fragt sich, ob die Täler der Drei Bünde wie schon vor 500 Jahren eine Revolution anstossen könnten und die Menschheit ins irdische Paradies, inspiriert vom Bündner «Lifestyle», führen könnten.
Das Programm zur Jubiläumsfeier: https://500.gr.ch/
Glaubenskrieg verhindert
«Das Klima in den Drei Bünden war relativ fortschrittlich und tolerant», sagt Tognina. Oft teilte man sich unter Altgläubigen und Reformierten das Kirchgebäude. Beide Konfessionen vermochten einige Jahrzehnte einigermassen friedlich nebeneinander zu existieren, während im Rest Europas bereits der Religionskrieg tobte. Doch wie steht es heute mit dem Glaubensleben im Kanton?
Etwas machen, was Breitenwirkung hat
Paolo Tognina konzipierte zu dieser Frage eine Wanderausstellung: «Ich wollte etwas machen, was über den einen Bundstag hinausweist und noch mehr Menschen erreicht.» Tognina, der lange für das kirchliche Programm des italienischsprachigen Rundfunks der Schweiz (RSI) arbeitete, knüpfte an seine journalistische Tätigkeit an: Er führte mehr als 40 Interviews und befragte Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, beruflicher und konfessioneller Herkunft. Zusammen mit einem Kameramann produzierte Tognina von jedem Gespräch ein kurzes Videoporträt, das dann über einen QR-Code abrufbar sein wird.
Ein intimes Thema
Mit Bündnerinnen und Bündnern von heute über den Glauben zu sprechen, erlebte Tognina als gar nicht so einfach: «Für viele ist das ein intimes Thema. Über andere sensible Themen, wie zum Beispiel Geld oder Sex, zu sprechen, scheint einfacher zu sein», sagt der Theologe. Es brauche Mut, um zu sagen, was man glaube, denn das heisse auch, zur eigenen Verletzlichkeit zu stehen.
Suchen und Diskutieren
Herausgekommen sind spannende Statements, die Tognina noch im Nachgang beschäftigen: «Manchmal wache ich nachts auf und denke an die Überlegungen, die die Leute geäussert haben.» Auffällig ist, dass trotz aller düsteren Prognosen Glaube auch 500 Jahre später eine Rolle im Leben der Menschen spielt. Sie suchen und diskutieren. Tognina will mit der Ausstellung die Impulse weitergeben.