Gesellschaft 26. September 2025, von Isabelle Berger

Die Nachwuchskirche ist am Ende

Kirchenstatistik

Die Zahlen für das Jahr 2024 zeigen, dass die Austrittswelle vom Vorjahr überwunden ist. Doch weiterhin verlieren die Kirchen Mitglieder. Das fordert einen Modellwechsel.

Heute präsentierte das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) die neusten Zahlen zu den reformierten und katholischen Kirchen. Nach der Austrittswelle, die die Veröffentlichung der Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche ausgelöst hatte, sind die Austritte 2024 wieder deutlich gesunken: Um 18 Prozent in der reformierten auf rund 32’600 Austritte und um 46 Prozent auf rund 36'800 Austritte in der katholischen Kirche. Damit gibt es in der Schweiz 1,78 Millionen evangelisch-reformierte und 2,73 Millionen katholische Kirchenmitglieder. Die Differenz von rund 1 Million Mitgliedern blieb stabil.

Die Austrittswelle 2023 sei kurz und heftig gewesen, sagte Arnd Bünker, Leiter des SPI an der Medienpräsentation. Die Missbrauchsstudie wurde im September publiziert, bis Ende Jahr hatte sich die Kurve aber wieder abgebaut. Jedoch geht der in den vergangenen Jahren sichtbar gewordene Austrittstrend in den beiden Kirchen weiter: Die Zahlen von 2024 liegen leicht über den Zahlen von 2022. 

Interessanterweise seien die Kircheneintrittszahlen – anders als die der Austritte – seit Jahrzehnten konstant geblieben: Um 2000 in der reformierten, um 1000 in der katholischen. «Obwohl es heute viel mehr Menschen gibt, die eintreten könnten, tun sie es nicht», stellt Bünker fest. Auffällig sei zudem, dass die Eintritts-, wie auch die Austrittszahlen bei der Evangelisch-reformierten Kirche verhältnismässig höher sind als bei der um einen Drittel grösseren katholischen Kirche.

Hinter den niedrigen Eintrittszahlen stünde das religiöse Phänomen in der Schweiz, nach dem es kaum eine Bereitschaft zur Konversion in eine andere Religionsgemeinschaft gebe, wohl aber einen wachsenden Trend zum Austritt aus einer Religionsgemeinschaft in die Religionslosigkeit.

Mehr Mitglieder sterben, als nachrücken

Unter dem Strich gehen auch die absoluten Mitgliederzahlen in beiden Kirchen zurück: Nicht nur durch die Austritte, sondern auch, weil mehr Kirchenmitglieder sterben, als neue Mitglieder durch Taufen nachrücken. Dies hänge auch mit der sinkenden Zahl an Trauungen zusammen, wie Bünker erklärte. «Paare, die sich kirchlich trauen, lassen auch eher ihre Kinder taufen.»

Während aber die Taufzahlen in der evangelisch-reformierten Kirche (2024 rund 7100) deutlich niedriger sind als in der katholischen Kirche (rund 13'500) – ungefähr entsprechend dem Grössenunterschied beider Kirchen – liegen die beiden Kirchen bei den Trauzahlen etwa gleichauf: rund 1500 reformierten Trauungen stehen 2024 rund 1800 katholische gegenüber. Dieses Bild zeigt sich seit den letzten 15 Jahren so.

Einerseits spiele hier der höhere Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in der katholischen Kirche eine Rolle, der zu vielen Trauungen im Ausland führe, andererseits aber auch das unterschiedliche Verständnis der Ehe in den beiden Kirchen, sagt Bünker. Die katholische Kirche versteht die Ehe als unauslöschliches Sakrament, bei den Reformierten ist es lediglich ein Ritual mit kirchlichem Segen zu einem besonderen Anlass im Leben. «Paare, die ökumenisch heiraten nehmen lieber das kleinere Päckchen, bei dem man weniger theologischen Ballast hat», sagt Bünker. Stephan Jütte, Mediensprecher der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) ergänzt: «Die Hochzeit in der reformierten Kirche wird von den Trauwilligen immer stärker als Dienstleistung gesehen.»

Das Ende der «Nachwuchskirche»

Im Verhältnis zur schweizerischen Gesamtbevölkerung gesehen, zeigt sich an den Zahlen vom letzten Jahr, dass zwar rund die Hälfte der Bevölkerung einer der beiden Kirchen angehört, jedoch nur rund ein Viertel aller Neugeborenen getauft wird. «Hier zeigt sich ein starker Abbruch der familiären Weitergabe von Glauben und Kirchenbindung», sagt Bünker. Damit sei das Ende der «Nachwuchskirche» erreicht. «Hier sind die Kirchen gefordert, neue Modelle zu entwickeln.»

Es scheint uns nicht mehr zu gelingen, das Evangelium so zu verkünden, dass es zu Glauben führt.
Stephan Jütte, Mediensprecher EKS

Dazu bestünden bereits Ideen, sagt Stephan Jütte. So seien administrative Hürden zu beseitigen, wie etwa, dass man sich bei einem Umzug in eine andere Kirchgemeinde dort wieder anmelden muss. Zudem sagten auch viele Menschen, dass sie den Glauben nicht oder nicht mehr teilten. «Es scheint uns nicht mehr zu gelingen, das Evangelium so zu verkünden, dass es zu Glauben führt», sagt Jütte. 

Dieser Tatsache müsse man sich stellen. Dabei gehe es vor allem darum, Erwachsene gezielt mit Themen zu erreichen, die mit dem Glauben zu tun hätten. «Wir stehen mit ihnen nicht mehr automatisch über die Kinder in Kontakt.» Viele Kirchgemeinden würden bereits versuchen, diesen Kontakt mit entsprechenden Angeboten wieder herzustellen.

Kirche als öffentlicher Auftrag

Den Rückgang an Interesse an der Kirche bezeichnet Jütte als «Herausforderung nicht nur für die Kirche als Organisation, sondern für uns als Ort gelebten Glaubens.» Das Aus der Nachwuchskirche bedeute für die Reformierten aber, dass sie Volkskirche bleibe, «aber nicht mehr in der alten Form der Vollmitgliedschaft. Volkskirche heute bedeutet: Kirche für die ganze Gesellschaft zu sein – auch für jene, die nicht oder nicht mehr Mitglied sind.» Damit wandle sich das volkskirchliche Selbstverständnis vom reinen Zahlenmodell, hin zu einem öffentlichen Auftrag. Und dieser bleibe gross: «Kirche für alle Menschen zu sein – dort, wo Sinn, Gerechtigkeit und Hoffnung gefragt sind.»