Segen «to go» für Gäste aus aller Welt

Tourismus

Das Dorf Lauterbrunnen wird von Touristen überrannt. Die Kirchgemeinde gibt  den Gästen aus aller Welt Segenskärtchen mit auf die Weiterreise und hat grossen Erfolg damit. 

Vom Bahnhof Lauterbrunnen Richtung Dorfzentrum wälzt sich ein Strom von Touristinnen und Touristen. Eine Reisegruppe aus China fotografiert Kühe, die auf einer Weide wiederkäuen. Eine Braut im weissen Hochzeitskleid posiert vor einem Chalet. Eine Inderin im Sari bringt kurzzeitig den Durchgangsverkehr zum Erliegen, weil sie den Dorfbach filmen will und mitten auf der Hauptstrasse stehen bleibt. 

Herausforderung im Alltag 

«Heute ist ein eher ruhiger Tag», sagt Pfarrerin Eva Leuenberger. Ruhig? Wie es an anderen Tagen im Oberländer Bergdorf aussieht, erzählt sie in ihrem Büro im Kirchgemeindehaus. Manchmal gebe es kein Durchkommen, nicht auf dem Velo und schon gar nicht im Auto. Darum sei sie wenn möglich zu Fuss unterwegs. 

Für Beerdigungen haben Eva Leuenberger und ihre zwei Pfarrkollegen von der Gemeinde einen Sicherheitsdienst verlangt und erhalten. Es kam vor, dass Touristinnen und Touristen durch den Zaun filmten und klatschten, wenn jemand bei einer Abdankung Alphorn spielte. «Nicht aus Bosheit, sondern aus Unwissenheit», betont die Pfarrerin. «Sie dachten wohl, die Zeremonie sei für sie inszeniert.» Das bewohnte Lauterbrunnen oder das Freilichtmuseum Ballenberg sei für viele Touristen das Gleiche. 

Als Kirche wollen wir Gastfreundschaft im christlichen Sinn leben.
Pfarrerin Eva Leuenberger

Overtourism, Übertourismus, gibt es in Venedig, Barcelona, Dubrovnik – und Lauterbrunnen. Hier aber setzt die Kirchgemeinde den negativen Auswirkungen eine positive Aktion entgegen: Seit gut einem Jahr fabriziert ein Kernteam von vier Personen und weiteren Interessierten Segenskärtchen, welche die Gäste aus aller Welt mit auf ihre Weiterreise nehmen dürfen. 

Sie sind kreditkartengross, handgeschrieben, mit Zeichnungen verziert und mit dem Logo der Kirchgemeinde versehen. Die Kärtchen liegen in den Kirchen Lauterbrunnen, Mürren und Wengen auf und «gehen weg wie warme Weggli», sagt die Pfarrerin lachend. 

«Segen to go» heisst diese Aktion. Entstanden ist sie, als sich die Kirchgemeinde mit dem Thema der Gastfreundschaft befasste. «Als Kirche wollen wir Gastfreundschaft im christlichen Sinn leben», erklärt Eva Leuenberger. 

Seitdem sie bei den Segenswünschen mitmache, könne sie besser mit den Touristenmassen umgehen, erzählt Christine Künzi. «Wir jammern nicht, sondern tun etwas Positives.» Für Agata von Allmen ist die Einstellung wichtig: «Manchmal nimmt einem die Menge an Reisebussen fast den Atem. Sehe ich aber den einzelnen Menschen und finden Begegnungen statt – sei es nur ein Lächeln –, geht es mir gut.» 

Weil die Segenswünsche ein so grosser Erfolg sind, werden die Kärtchen inzwischen gedruckt und auch auf Englisch übersetzt. Ursprünglich handgeschrieben sind sie aber immer noch. Die 80-jährige Margarete Schmocker ist dafür schon manche Stunde am Schreibtisch gesessen. Frühmorgens spielt sie beim berühmten Staubbachfall als Lobpreis Flöte. «Jemand muss doch Gott danken für alle die Schönheit der Natur», sagt sie. 

Blick für schöne Erlebnisse geschärft

Natürlich ärgern sich die Frauen immer noch hin und wieder über gedankenlose Touristen. Der Blick für die schönen Erlebnisse mit den Gästen sei durch das Projekt aber geschärft worden, findet Leuenberger. 

An Pfingsten vor einem Jahr öffnete sich während des Gottesdienstes die Kirchentür, und eine Gruppe asiatischer Touristen setzte sich in die hinterste Reihe. «Ich fragte sie auf Englisch, ob sie am Gottesdienst teilnehmen möchten», erzählt Eva Leuenberger. Nach dem Gottesdienst dankten ihr die Touristen. Es waren Christen aus Südkorea. Sie hätten an Pfingsten in einer Kirche sein wollen. Die Kirche in Lauterbrunnen war offen für sie.