Ein Kaiser liess Jesus zum Gott erklären

Kirchengeschichte

Ist Jesus der Mensch gewordene Gott? So klar war es in den Anfängen der christlichen Kirche nicht. Der verbindliche Entscheid fiel vor 1700 Jahren im kleinasiatischen Nizäa.

Die kirchliche Welt feiert dieses Jahr 1700 Jahre Konzil von Nizäa. Ein zentraler Punkt dieser Bischofszusammenkunft war damals die Frage, wie es sich mit der Göttlichkeit von Jesus Christus verhalte – und wie mit seiner Stellung gegenüber Gott Vater und dem Heiligen Geist.

Was am Konzil von Nizäa verhandelt wurde, sind doch theologische Spitzfindigkeiten, oder nicht? 

Serge Fornerod: Die Frage, wie Jesus gleichzeitig Mensch und Gott sein konnte, war für die antike Welt sehr entscheidend. In der Antike gab es Götter, die sich mit Menschen vermischten, dazu Halbgötter, zudem Menschen, die göttlich wurden, so auch der römische Kaiser. Und wie steht es mit Jesus? In der Kirche gab es dazu mehrere Interpretationen, die sich gegenseitig bekämpften. Konsens – damals wie auch heute – war jedoch, dass Jesus das Heil gebracht hatte.

Serge Fornerod, 67

Serge Fornerod, 67

Der Theologe und pensionierte Pfarrer Serge Fornerod war von 2002 bis 2023 Direktor der internationalen und ökumenischen Beziehungen der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz. Vorher koordinierte er als Heks-Mitarbeiter Hilfsprojekte in Osteuropa. Noch früher, als junger Vikar, kam er in eine niederländische Kirchgemeinde im damals noch geteilten Berlin, und als Pfarrer dieser Kirchgemeinde war er sowohl in West- wie auch in Ost-Berlin unterwegs.

Dieser Konsens reichte also für eine gemeinsame christliche Identität im römischen Reich nicht aus? 

Solange die Apostel und ihre Schüler noch lebten, waren diese Fragen zweitrangig, denn der Geist Jesu war mit den Aposteln. Mit der Zeit wurde das anders, man wollte Klarheit über die Gott- und Menschnatur von Jesus. Nizäa war der Versuch, diese Frage global zu lösen. Heute blicken wir auf 2000 Jahre Kirchengeschichte und Dogmengeschichte zurück, Nizäa ist eine der ersten Wegmarken dieser Geschichte und hat somit auch eine grosse symbolische Bedeutung.

Hatte das Konzil auch einen politischen Aspekt? 

Die Aussage von Nizäa, Christus sei nicht nur Mensch, Prophet, Heiler und Rabbi gewesen, sondern der auf die Erde gekommene Gott, war keine Entscheidung der Bischöfe. Sondern ein politischer Entscheid von Kaiser Konstantin, der die Synode selbst einberufen hatte. Unter ihm war das Christentum eine offizielle Religion des Reiches geworden, neben vielen anderen. Eine offizielle Religion ist Teil des Macht- und administrativen Apparates im Reich. Nachdem Konstantin seinen Mitkaiser Licinius im Jahr 324 eliminiert hatte, wollte er im Christentum Klarheit schaffen, denn eine Reichsreligion kann nur eine Doktrin haben: ein Reich, ein Kaiser, eine Kirche. Wenn die Doktrin nicht klar ist, dann sind die Einheit und das Wohlergehen des Reiches selbst gefährdet.

Dem Kaiser ging es um die Einheit von Glauben und Reich.
Serge Fornerod, Theologe

Was hat das Konzil erreicht? 

Haupttraktandum war die Verurteilung der «Häresie» der Arianer. Der Presbyter Arius und seine Anhänger sahen in Jesus nicht Gott selbst, sondern ein Geschöpf Gottes. Diese Lehre wurde in Nizäa verboten, aber das Problem der Definition der Person Jesu dadurch nicht gelöst. Zudem wurden 20 Beschlüsse gefasst, die sogenannten Kanones, welche die Regulierung der neuen Reichsreligion präzisierten. Weiter gab es zwei sehr wichtige Teilergebnisse, die jedoch zu keinen Beschlüssen führten: das Glaubensbekenntnis und die Festlegung des Ostertermins.

Was von Nizäa ist bis heute wirksam geblieben? 

Vor allem das Glaubensbekenntnis, das aber erst 56 Jahre später in Konstantinopel vervollständigt wurde. In der orthodoxen Kirche wird es als einziges Glaubensbekenntnis verwendet. Im Westen hingegen gibt es mehrere, darunter insbesondere das Apostolikum. Bis heute Gültigkeit hat auch die Fixierung des Ostertermins. In Nizäa legte man sich auf diese Formel fest: Ostern findet immer an jenem Sonntag statt, der auf den ersten Vollmond nach dem 21. März folgt.

Die heutige Berner Landeskirche kennt aber kein Bekenntnis. Warum eigentlich nicht? 

Mitte des 19. Jahrhunderts entzündete sich in den reformierten Landeskirchen der Schweiz ein heftiger Streit um das Apostolische Glaubensbekenntnis. Liberale Theologen forderten die Abschaffung, die sogenannten positiven Theologen waren dagegen. In vielen Schweizer Landeskirchen wurde in der Folge das Apostolikum aus der Liturgie gestrichen oder seine Verwendung als optional erklärt. Damit setzten sich, anders als in Deutschland, hierzulande die Kräfte des theologischen Liberalismus durch. Bis heute berufen sich die meisten reformierten Kirchen der Schweiz in ihren Verfassungen allein auf die Heilige Schrift als Bekenntnisgrundlage.

Im Konzil von Nizäa wurden inhaltliche Unterschiede bereinigt. Das dürfte aber der theologischen Vielfalt geschadet haben. 

In Nizäa ging es vorab um die Einheit der kirchlichen Lehre und die Einheit des Reiches. Damit trug das Konzil jedoch zur Verarmung der theologischen Diversität bei, indem es abweichende Positionen zur Häresie erklärte. Meinungsunterschiede, Konflikte sowie gegensätzliche Strömungen lassen sich aber nicht zum Verschwinden bringen. Es gibt sie heute noch: So verstehen manche Gläubige Jesus als Modell der Humanität und können mit seiner transzendentalen Person nicht viel anfangen. Andere sehen ihn als Quelle von spiritueller Kraft, kümmern sich aber nicht um historische Details. Wieder andere predigen eine radikale Lebenswandlung durch den Glauben und fordern Menschen und Gemeinschaften zur Umkehr auf.