Ihr neues Buch trägt den Titel «Der demokratische Rechtsstaat – eine Ideengeschichte». Das passt in eine Zeit, in der Demokratie und Rechtsstaat unter Druck stehen.
Adrian Loretan: Mit Blick auf das tagesaktuelle Weltgeschehen staune ich, wie das Völkerrecht immer wieder mit Füssen getreten wird. Es gilt das Recht des Stärkeren anstatt der Stärke des Rechts – das hat in der Vergangenheit häufig zu Kriegen geführt. Dabei ist das Völkerrecht mit der Idee des Völkerbunds bereits im 16. Jahrhundert aus kanonisch-rechtlichen Überlegungen entstanden.
Bei Demokratie und Menschenrechten denkt man zuerst an die Aufklärung oder an die Französische Revolution. Sie aber postulieren, dass wichtige Grundlagen durch die Rechtswissenschaft der Kirche gelegt wurden.
Hinter dem Thema der Menschenrechte steckt die Frage: Weshalb sollte man die Rechte von Menschen mit Behinderung, der älteren Bevölkerung, von Jüdinnen und Juden und so weiter achten? Nach einem christlichen Verständnis ist in diesen Gruppen und Individuen Christus erkennbar. Dieser sagt in der Bibel: «Was ihr den Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.» Der spanische Kirchenrechtler Bartolomé de Las Casas formulierte dies im 16. Jahrhundert in einem säkulären, also weltlichen Sinne wie folgt: Jeder Mensch hat eine Menschenwürde und sich daraus ergebende Menschenrechte.
