Gretchenfrage 05. Januar 2016, von Delf Bucher

Eveline Widmer-Schlumpf: «Glaube ist eine Lebenshilfe»

Eveline Widmer-Schlumpf

Die scheidende Bundesrätin spricht über Glaube, Kirche und religiöse Erziehung.

Wie haben Sie es mit der Religion, Frau Bundesrätin Widmer-Schlumpf?

Die Religion hat meine heutige Wertehaltung geprägt.

Gab es mit Ihren Kindern, als diese noch klein waren, ein christliches Gutenacht-Ritual?

Ich habe mit ihnen regelmässig am Abend gebetet und gesungen.

Die Kirche ist für Sie nicht nur für Rituale wie Hochzeit, Taufe und Abdankungen da?

Kirche und Glaube sind eine Lebenshilfe. Die Kirche ist damit weit mehr als ein Dienstleister.

Klingen bei Ihnen mit der Kirche in Felsberg Erinnerungen an die Kindheit, an Einkehr in Gottesdiensten an?

Mit dieser Kirche verbinde ich viele bereichernde Erlebnisse und Begegnungen: im Jugendgottesdienst, in Familiengottesdiensten, an Ostern und Weihnachten als Kind und später. Eindrücklich ist für mich jedes Mal die Feier in der Kirche Felsberg am Altjahrsabend.

Sie werden oft als Realistin geschildert. Sind sie dennoch für die Weihnachtsbotschaft «Fürchtet euch nicht» empfänglich – in einer Welt, die aus dem Lot geraten ist?

Ich habe gelernt, mit der Realität umzugehen, offen und ohne Angst. Die Weihnachtsbotschaft steht zu dieser Realität keineswegs in Widerspruch. Es braucht sie, damit man mit dieser Realität zurechtkommt.

Nach Ihrer Wahl in den Bundesrat vor acht Jahren sind Sie angefeindet worden. War dies auch ein Moment, an dem Sie spirituelle Einkehr suchten?

Ich habe mich immer wieder – und tue dies auch heute – ausserhalb der Gottesdienst-Zeiten in eine Kirche gesetzt. Das ist für mich ein Ort der Ruhe und der Kraft.

Viele Kirchenleute kritisieren den Bundesrat, beispielsweise wegen des zu geringen Engagements in der europäischen Flüchtlingskrise. Wie weit darf sich Ihrer Meinung nach Kirche politisch einmischen?

Es gehört auch zu den Aufgaben der Kirche, sich für Menschen in Not einzusetzen; dies im Rahmen der geltenden Gesetze.