«Ich schrieb die Bibel in 24 Stunden nieder: vom Beginn der 22. Stunde des 4. April bis zum Ende der 21. Stunde des 5. April.» So steht es im Vorwort Ihres aktuellen Buchs «Die Bibel». Stimmt das denn auch?
Gion Mathias Cavelty: Ja. Am 4. April 2024, meinem 50. Geburtstag, habe ich mich an meinen Schreibtisch im Zürcherischen Schwamendingen gesetzt mit dem Ziel, eine neue Bibel zu schreiben. Ein anständiger Autor braucht einfach eine Offenbarungsschrift. Ich habe darauf gewartet, was mir für Gedanken kommen. Und siehe da: Innert 24 Stunden kamen 11 x 1111 Wörter, die ich wie besessen niederschrieb. Écriture automatique nennen die Franzosen dieses ungefilterte Schreibverfahren.
Nun gibt es bereits eine Bibel. Wofür brauchen wir Ihre?
Vielleicht ist das ja die wahre Bibel? Wer kann denn beurteilen, welche Gedanken göttlicher sind als andere? Woher hatte Moses seine Gedanken? Woher habe ich meine Gedanken? Entstehen Gedanken im Kopf? Oder werden sie von irgendwoher quasi ins Hirn gestreamt? Von wo? Von oben? Von ganz oben? Die gemeinhin bekannte Bibel ist auf jeden Fall nur ein Zufallsprodukt. Viele gnostische Evangelien wurden einfach übergangen und fanden keinen Eingang in die biblische Textsammlung. Und diese fand ich immer mindestens so interessant wie die offiziellen.
Wie sind Sie mit den Schriften der Gnostiker, die religiöses esoterisches Wissen beinhalten und deren Anhänger zur Zeit Jesu lebten, in Kontakt gekommen?
Als Gymnasiast bin ich in der Buchhandlung Karlihof in Chur über einen Sammelband mit apokryphen Texten gestolpert. Beim Lesen war ich wie elektrisiert. In Erinnerung geblieben sind mir die Schilderungen von Jesu Kindheit. Etwa die Geschichte aus dem Thomas-Evangelium, in der Jesus Spatzen aus Ton Leben einhaucht. Später habe ich mich auf «Das Foucaultsche Pendel» von Umberto Eco gestürzt. Voll mit Freimaurern, Templern, Kabbalisten, Theosophen, Martinisten, Satanisten, Gnostikern, es war einfach herrlich. Da dürfte ich auch zum ersten Mal von der gefallenen Sophia gelesen haben. In einer englischsprachigen Ausgabe des Apokryphon des Johannes bin ich dann erstmals auf den Namen Jaldabaoth gestossen.
Jaldabaoth oder Ildabaoth: die löwenköpfige Gottheit, die in manchen Richtungen der Gnosis als Schöpfer der materiellen Welt angesehen wird. Der Demiurg, der die Menschen in dieser Welt gefangen hält. Sie sprechen davon
Genau. Der Name ist wahrscheinlich vom Aramäischen abzuleiten und bedeutet so viel wie «Sohn des Chaos» oder «Idiotengott». Die Idee, dass der Schöpfer nicht bei Verstand ist! Wer traut sich, so etwas zu denken? Der Konsens bei Gnostikern ist, dass Gott böse ist. Angesichts der Verhältnisse in der Welt müsste man ja tatsächlich davon ausgehen. Aber dass Gott ein Idiot ist: Ist das nicht noch schlimmer? Ungeheuerlich, so oder so, für einen katholischen Teenager, der ich damals war. Als ich den Namen Jaldabaoth zum ersten Mal las, wurde ich von einem Schaudern erfüllt. Aber es war ein Schaudern des Erwachens. Als ob ich ein tiefes Geheimnis erkannt hätte. Gleichzeit war alles auch unglaublich lustig.
In Ihrer Bibel gesteht Gott dann ja auch: «Ich bin ein Idiot. Entschuldigung für alles.»
Ja, das ist doch verblüffend! Genau so ist es am 4. April 2024 durch mich und durch meinen Schreibstift aufs Papier geflossen. Ich kann nichts dafür. Die Gnostiker waren im Grunde ja auch Satiriker. Sie haben alles auf den Kopf gestellt, wie es Satiriker tun. Alles verdreht. So ist die Schlange im Paradies in vielen gnostischen Strömungen eine «gute» Figur, die Adam und Eva aus dem Irrgarten des Demiurgen befreien will.
Adam und Eva kommen in Ihrer Bibel auch vor, sie heissen dort allerdings Steve und Barbara.
Barbara ist die erste Frau auf Erden. Und Protestantin! Wenn Sie gestatten, zitiere ich: «Barbara mochte die Farbe Grau und kleidete sich immer in Grau. Sie selbst war ebenfalls ziemlich grau, also irgendwie freudlos-verhärmt und stets ein bisschen am Stänkern, aber nicht auf böse Art.» Auch für diese Worte kann ich nichts! Ich habe eine grosse Verehrung für alles Protestantische und war als Bub verliebt in eine ganz strenge, protestantische Klassenkameradin mit einem Haarknoten hart wie ein Stein. Auf ihrer Geige konnte sie wunderbar Bach spielen.
Was ist Satire für Sie?
Eben die Dinge auf den Kopf zu stellen. Der Satiriker deckt Machtgefälle auf. Die Autoritäten werden lächerlich gemacht und damit infrage gestellt. Tief im Herzen jedes Satirikers steckt indes der Wunsch, einmal auf etwas zu stossen, über das er sich nicht lustig machen kann. Mein Lebensziel ist es, Gott auf die Schliche zu kommen. Bis ich das geschafft habe, gibt es aber bestimmt noch viel zu lachen.