Offizielle Gedenkstätten für die Opfer des Holocaust, wie es sie in vielen Ländern gibt, bestehen bisher in der Schweiz nicht. Eine private, für jüdische Flüchtlinge, existiert in Riehen.
Doch unter den Opfern des Nationalsozialismus waren auch Menschen aus der Schweiz – etwa homosexuelle Personen und andere, die heute LGBTQ eingeordnet werden. Auch Menschen mit Behinderungen, politische Aktivisten, Christinnen und Christen, die sich gegen die Diktatur stellten – kurz Menschen am Rand der Gesellschaft. Dazu gehörten unter anderem Roma, Sinti und Jenische, die als «Zigeuner» verfolgt wurden. Ihnen und allen weiteren Opfern des Nationalsozialismus soll nun auch in der Schweiz ein Ort gewidmet sein.
Auf Initiative der Auslandschweizer-Organisationen erarbeitete eine Steuerungsgruppe ab 2019 das Konzept «Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus». Gregor Spuhler, Historiker und Leiter des Archivs für Zeitgeschichte der ETH Zürich, war seit Beginn dabei. Er sagt: «Die Erinnerung an das brutale Verfolgungs- und Ausgrenzungsregime wird immer wichtiger.»
In den USA rede man wieder von Massendeportationen. Und selbst US-Demokraten täten sich schwer, sich mit jenen, die nun plötzlich aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden, zu solidarisieren. Spuhler: «Ein Schweizer Memorial ist längst fällig.» So sieht das auch der Bund. Im Juni startet der Projektwettbewerb für eine Holocaust-Gedenkstätte bei der Casinoterrasse nahe dem Bundeshaus (mehr Informationen dazu im Dossier Seiten 5–8).
Justiz versagte
Der Opfer zu gedenken, ist auch Behar Heinemann wichtig. Als gebürtige Kosovarin und Roma nimmt sie jeweils am 2. August, dem Internationalen Tag des Gedenkens an den Genozid an den Sinti und Roma in Auschwitz, teil. Hier töteten Nazis in der «Zigeunernacht» vom 2. auf den 3. August 1944 über 3000 Roma und Sinti in den Gaskammern. «Schlimm war das Verhalten der deutschen Justiz danach», sagt Heinemann. Statt die Schergen zu verurteilen, rechtfertigte der deutsche Bundesgerichtshof 1956 die Freilassung der Angeklagten aufgrund der hohen Kriminalität «der Zigeuner». Der Staat hat seine Geschichte inzwischen vorbildlich aufgearbeitet. Dass heute deutsche Sinti und Roma, neben der dänischen Minderheit, den Friesen und den Sorben, zu den vier alteingesessenen Minderheiten in Deutschland gehören, ist nicht zuletzt das Verdienst Romani Roses. 2017 veröffentlichte Behar Heinemann eine Biografie über den Bürgerrechtler. «Er war nicht nur ein guter Freund, er inspirierte mich auch in meiner Arbeit als Menschenrechtsaktivistin und Künstlerin», sagt Heinemann, die viele Jahre mit Rose arbeitete.
Zukunft zählt
Nach Chur kommt sie auf Vermittlung einer nahe Chur wohnhaften Bekannten. Am 2. August liest sie im Kulturpunkt und eröffnet die Ausstellung. In ihren Bildern thematisiert sie den Porajmos, so die Roma-Bezeichnung für den Holocaust, aber auch die Schönheit der Natur. «Wir Roma wollen nicht in der Vergangenheit stecken bleiben, wir blicken immer nach vorn. Dabei hilft uns die Natur.»