1975 organisierte Pfarrer Hansjörg Stückelberger zwei Gedenkmärsche in Zürich und Bern, um auf die Lage verfolgter Christen in der damaligen Sowjetunion aufmerksam zu machen. 50 Jahre später luden vier Schweizer Kirchen und drei christliche Netzwerke zu einer Veranstaltung im Berner Kornhausforum, um in Stückelbergers Geist den Blick auf die aktuelle weltweite Lage der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu richten.
An diesem 7. November sprechen unter anderem Aktivisten aus Indien und dem Irak, ein Experte aus Deutschland ordnet ein und ein Bundesrat in Eile richtet das Grusswort an die Teilnehmenden der Tagung «Religionsfreiheit im Fokus». Doch noch bevor der Verkehrsminister Albert Rösti (SVP) seine Eröffnungsrede halten kann, bringt der inzwischen 95-jährige Stückelberger in einer Aufzeichnung seine Haltung auf den Punkt: Die Religionsfreiheit sei «untrennbar mit der Menschenwürde verbunden» und «da Gott will, dass der Mensch frei lebt, ist er auch zur Freiheit bestimmt».
Damit ist der theologische Steilpass bereits gespielt, den Bundesrat Rösti auf staatspolitischer Ebene gern aufnimmt. Er zitiert unter anderem die Reformatoren Huldrych Zwingli und Martin Luther, die Gerechtigkeit und Ordnung einforderten, denn nur wo Recht herrsche, sei auch Freiheit möglich. Dieses Staatsverständnis stehe auf dem Fundament einer vom Christentum mitgeprägten, abendländischen Kultur, betont Rösti.
Indische Christen leiden
Grüne-Nationalrätin Sibel Arslan nimmt den staatspolitischen Faden wieder auf. Sie sieht die Kirchen in der Pflicht, sich in gesellschaftspolitische Debatten einzubringen. Das gelte für das Einstehen für demokratische Werte ebenso wie in der Umweltpolitik, schliesslich sei die Erde die Schöpfung Gottes.
In einem sind sich linke Parlamentarierin und rechter Bundesrat einig: Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, für das sich die westlichen Gesellschaften jederzeit und überall starkmachen müssen. Dass der Boden der demokratischen Errungenschaften brüchig sein kann, weiss die Anwältin und Menschenrechtlerin Parul Singh aus Indien, die in Bern aus Sicherheitsgründen unter einem Pseudonym auftritt. In Indien geraten die von der Verfassung garantierten Freiheiten seitens der hinduistisch-nationalistischen Regierung zunehmend unter Druck. Das bekommen besonders die anderen Glaubensgemeinschaften zu spüren: Sikhs, Muslime oder Christen, zu denen Singh gehört.
Sie schildert im Gespräch mit Moderatorin Ladina Spiess und dem irakischen Pater Emanuel Youkhana Beispiele aus dem Subkontinent: mundtot gemachte Journalisten, geschlossene Kirchen, erschwerter Zugang zur Bildung für Kinder von Christen, Gewalt gegen Andersgläubige. «Wir haben de facto keine Rede- und auch keine Glaubensfreiheit, obwohl Indien eine Demokratie ist», sagt die Anwältin.
Diskriminierung im Irak
Emanuel Youkhanas Berichte aus Nahost sind etwas weniger dramatisch, aber dennoch bedrückend. Der Pater hat – auch mithilfe der Zürcher Landeskirche – das Hilfswerk Capni aufgebaut, um unterdrückte christliche Gemeinden im Irak zu unterstützen. Sein Land sieht er auf dem Weg zur Besserung, die Sicherheitslage sei so gut wie lange nicht mehr. Youkhana spricht explizit nicht von staatlicher Verfolgung religiöser Minderheiten, sehr wohl jedoch von Diskriminierung. «Echte Religionsfreiheit sieht die Möglichkeit vor, dass alle Bürgerinnen und Bürger jederzeit zu jedem anderen Glauben konvertieren können.» Dieses Recht gebe es im Irak nicht, sagt Emanuel Youkhana.
Kürzlich aus Syrien zurückgekehrt ist der deutsche Theologe und Menschenrechtsexperte Thomas Schirrmacher. In seinem Vortrag spannt er einen Bogen von Damaskus, wo sich die Lage sehr stabil darstellt und die Regierung christliche Bauten renovieren lässt, über Indien zu welthistorischen Bezügen und der Verantwortung der demokratischen Welt. «Der Einsatz für Religionsfreiheit ist elementar», sagt er. Denn ist das Menschenrecht nicht garantiert, sei der Weg zu einem «failed state» nicht mehr weit.
Am Ende der Tagung veröffentlichen die reformierte, christkatholische und katholische Kirchen sowie Freikirchen einen Appell. Sie wollen einstehen für die Religionsfreiheit: nicht nur für verfolgte Christen, sondern für Menschen aller Glaubensrichtungen.
