Wir leben in kriegerischen Zeiten. Was löst das bei Ihnen aus?
Die aktuelle Situation bestätigt mir als Theologen die Notwendigkeit, Frieden ganz ins Zentrum meiner Tätigkeiten zu stellen und in diesen Bemühungen nicht nachzulassen. In den aktuellen theologischen Diskussionen scheinen Frieden und Gerechtigkeit oft nur ein Thema unter vielen zu sein, Bestandteile der theologischen Ethik. Aber die gesamte Theologie, auch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, will nichts anderes als Frieden für diese Welt.
Theologie ist per se Friedenstheologie?
Ja. Und wenn man das verstanden hat, dann verändert sich das theologische Nachdenken und das politische Engagement von Kirchen. Handelt die Kirche entsprechend, besteht zumindest die Chance, dass das christliche Friedenszeugnis einigermassen gehört wird und die Kirche glaubwürdig ist.
Wie beurteilen Sie das politische Engagement der Kirche in Konflikten?
Das ist sehr unterschiedlich. Viele der ehemaligen Staatskirchen versuchen sich im Mainstream zu verordnen und neigen dazu, mit der Mainstreampolitik mitzugehen. Sie stimmen ein in die Kriegslogik der Regierung in ihrem Land, nicht nur in Russland und der Ukraine, auch an anderen Orten. Ich als Mennonit, und auch andere kleine Kirchen, haben den Vorteil, dass wir keine Mehrheiten gewinnen und uns daher nicht nach dem Mainstream richten wollen. Uns geht es stets um die Glaubwürdigkeit des christlichen Zeugnisses. Und so schauen wir immer, wie wir dieses in den politischen Gegebenheiten aufrechterhalten können.
Aber wenn ein Land überfallen wird: Ist es da nicht legitim, sich zu wehren statt zu ergeben? Mit Mainstream hat das doch wenig zu tun.
Natürlich darf und soll man sich wehren, wenn man überfallen wird. Das ist unstrittig. Entscheidend ist aber die Frage: Mit welchen Mitteln? Ist das instinktive Verhalten, nach Waffen zu greifen und selbst mit Gewalt zu reagieren die einzige Möglichkeit? Da gibt es so viel mehr! Die leitende Frage muss doch sein: Wie können wir Gewaltspiralen durchbrechen und Eskalationen vermeiden?
Sollen sich die Kirchen also selbst im Ukrainekrieg für einen baldigen Frieden stark machen?
Ja, sie tragen die Verantwortung für das christliche Friedenszeugnis. Das müsste dazu führen, dass sich Christenmenschen nicht zuerst nach dem richten, was irgendwelche Patriarchen verkünden, sondern dass sie viel stärker den Kontakt suchen zu den Menschen in den Gemeinden. Dass sie in Verbindung mit der Zivilgesellschaft versuchen, für Frieden zu arbeiten. Die Kirche sollte Beziehungen zu und zwischen Gemeinden in Russland oder der Ukraine suchen und nutzen. Eine von kirchlicher Seite unterstützte Machtpolitik führt nicht zum Frieden, sondern unterstützt die Eskalation. Das kann nicht im Sinne des christlichen Glaubens sein. Die Kirche muss jeden Staat zur Rechenschaft ziehen und verantwortlich halten.