Gesellschaft 04. November 2024, von Felix Reich

Zähes Ringen um Koordinationsstelle

Seelsorge

Gegen den Widerstand der Landeskirchen von Zürich und Luzern segnet die Synode der EKS den Vertrag für eine ökumenische Koordinationsstelle zur Seelsorge im Gesundheitswesen ab.

Für die Zürcher Kirchenratspräsidentin Esther Straub stand viel auf dem Spiel. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Kanton Zürich basiere darauf, dass die Kirche in eigener Verantwortung Dienste erbringe, die der ganzen Gesellschaft zugutekommen, und dafür Staatsbeiträge erhalte. Zum Beispiel, indem sie Seelsorgerinnen und Seelsorger in Spitäler schickt.

Diese konfessionell profilierte Seelsorge ist für Straub ein Erfolgsmodell, das auch auf andere Konfessionen und Religionen anwendbar ist. In Kantonen wie Bern hingegen sind Seelsorgerinnen und Seelsorger von den Spitälern angestellt. Die Kirchen definieren die Anstellungsbedingungen. 

Vetorecht gefordert

Gefährdet sieht Straub den Zürcher Weg durch den Vertrag, den die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) mit der Schweizer Bischofskonferenz und der Römisch-katholischen Zentralkonferenz der Schweiz ausgearbeitet hat. Eingerichtet wird eine Koordinationsstelle für Seelsorge im Gesundheitswesen, die durch eine ökumenisch zusammengesetzte Konferenz gesteuert wird. Die Konferenz kann «im eigenen Namen Empfehlungen zu Fragen der Seelsorge im Gesundheitswesen erarbeiten und veröffentlichen». 

Die Zürcher und die Luzerner Landeskirchen forderten in der Synode vom 4. November in Bern ein Vetorecht, damit Mitgliedkirchen der EKS nicht durch Mehrheitsentscheide übersteuert werden können.

London rückt näher

Einstimmig beauftragte die Synode die EKS, mit der Swiss Church in London ein Assoziierungsabkommen auszuhandeln. Swiss-Church-Präsident Daniel Everett hatte im Berner Rathaus von einer «tiefen Partnerschaft» seiner Kirche mit der EKS gesprochen. Eine offizielle Assoziierung helfe dabei, die Vernetzung zu erleichtern und in der Projektarbeit noch stärker zusammenzuspannen. 

EKS-Rätin Catherine Berger versuchte die Befürchtungen mit einem Hinweis auf den Vertragstext zu zerstreuen: Dort steht, dass die Koordinationsstelle «den vielfältigen kantonalen Realitäten sowie der Vielfalt der Erfahrungen, kirchenpolitischen Einschätzungen und theologischen Zugänge Rechnung trägt». 

Die Synode solle sich bei ihrem Entscheid nicht von Ängsten leiten lassen, sondern von der Hoffnung, dass die Kräfte über Konfessionsgrenzen hinweg im Interesse der Kirche gebündelt werden könnten. «Es geht nicht darum, ein Seelsorge-Modell zu favorisieren, stattdessen sollen die unterschiedlichen Modelle reflektiert werden», sagte Berger.

Die Koordinationsstelle kostet die EKS 72'000 Franken pro Jahr. Neben der Interessensvertretung gegenüber den Bundesbehörden gehören Unterstützung und Vernetzung der kirchlichen Akteure im Gesundheitswesen in ihrem Pflichtenheft.

Präsenz im Bundeshaus

Der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert betonte die Wichtigkeit eines gemeinsamen Auftritts auf nationaler Ebene. «Wir müssen präsent sein, sonst nehmen wir uns selbst aus dem Spiel.» Die ökumenische Zusammenarbeit sei ein Gebot der Stunde, denn «ein konfessioneller Auftritt auf Bundesebene würde überhaupt nicht mehr verstanden». 

Ruth Pfister tritt zurück

Aus gesundheitlichen Gründen tritt Ruth Pfister aus dem Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz zurück. Sie war seit gut sieben Jahren Mitglied der Exekutive. Zuletzt betreute die Thurgauerin das Dossier «Schutz der persönlichen Integrität». Der Rücktritt sei ihr nicht leichtgefallen, insbesondere in den letzten Jahren habe sie Arbeit für die EKS sehr geschätzt. «Die vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit der Präsidentin, dem Rat sowie mit den Mitarbeitenden der Geschäftsstelle war für mich eine grosse Bereicherung», liess sie sich in einer Mitteilung zitieren. EKS-Präsidentin Rita Famos nahm den Entscheid «mit grossem Bedauern» zur Kenntnis. Natürlich sei der Entschluss, aus gesundheitlichen Gründen die Arbeitslast zu reduzieren, nachvollziehbar, doch verliere die EKS «eine engagierte und geschätzte Kollegin, die sich über viele Jahre hinweg mit Herzblut für die Anliegen unserer Kirche eingesetzt hat». Pfister bleibt im Kirchenrat der Evangelischen Landeskirche im Kanton Thurgau.

Die Bündner Kirchenratspräsidentin Erika Cahenzli argumentierte, dass die neu gegründete Konferenz die Autonomie der Mitgliedkirchen stärke, weil sie ihre Interessen frühzeitig einbringen könnten. Insbesondere die Corona-Krise habe gezeigt, wie wichtig es sei, dass sich die Kirche auf Bundesebene früh in Gesundheitsfragen einbringen könne. 

Ein nutzloser Minisieg

Straub unternahm mehrere Versuche, ihre Befürchtungen zu erklären. Gegen eine Koordination sei nichts einzuwenden. «Und zu gesundheitspolitischen und ethischen Fragen soll die EKS weiterhin Stellung beziehen», sagte Straub. Aber das Gesundheitswesen werde kantonal verantwortet, allfällige Entscheide der Konferenz müssten unter ganz unterschiedlichen Bedingungen umgesetzt werden. «Deshalb braucht es ein Vetorecht, wenn ein Entscheid den Interessen einer Kantonalkirche widerspricht.»

Präsident aus dem Wallis

Der Pfarrer Gilles Cavin wurde zum neuen Präsidenten der Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz gewählt. Er ist Delegierter der Kirche des Wallis und folgt auf Evelyn Borer, welche die Synode in den letzten vier Jahren präsidierte. Zuletzt war Cavin einer der beiden Vizepräsidenten der Synode. Er betonte, dass er es als Mitglied einer kleinen, zweisprachigen Kirche gewohnt sei, über Sprachgrenzen hinweg gut zusammenzuarbeiten. Als Vizepräsidenten bestätigte die Synode Michael Bünger von der Methodistischen Kirche im Amt. Das zweite Vizepräsidium ist zurzeit vakant. 

Die Zürcher und Luzerner Delegation errang nach intensiver Debatte nur ein denkbar nutzloses Zugeständnis: Die Synode stimmte der Schaffung der Koordinationsstelle «im Grundsatz» zu. Der Antrag, die beiden Worte einzufügen, war freilich nur deshalb eingebracht worden, um die Vorlage trotz der Forderung nach neu zu verhandelnden Anpassungen am Vertrag nicht zu gefährden. Mit 36 zu 22 stimmte die Synode dem vorliegenden Abkommen danach jedoch zu. In der Schlussabstimmung stellte sich die EKS-Synode mit 49 zu 7 Stimmen mit deutlicher Mehrheit hinter die Vorlage des Rats.