Porträt 24. November 2020, von Nicola Mohler

Ihre Sterne sind weit mehr als Dekoration.

Advent

Schon als Kind stellte Friederike Kronbach-Haas Herrnhuter Sterne her. Ihr Leuchten symbolisiert für sie die Hoffnung auf eine gerechtere Welt.

Papierschnipsel sind auf dem Boden verteilt. Auf den Tischen liegen Japanmesser, Metalllineale, Zirkel, Leimdosen, Ritzfedern, Karton und Papier. Friederike Kronbach-Haas steht an einem Tisch und legt mit ihren feinen langen Fingern gekonnt einen Falz und formt das gelbe Papier zu einer Zacke. Fünf Frauen und ein Mann um sie herum beobachten und machen es ihr nach.

Seit 20 Jahren leitet die Schwarzwälderin im November unentgeltlich einen Sternekurs. Sie lehrt, den Stern zu falten, den die Mitglieder der evangelischen Herrnhuter Brüdergemeine herstellen und am ersten Advent in ihren Kirchen und Häusern aufhängen. Die dem Pietismus zugerechnete Gemeinschaft wurde im deutschen Herrnhut gegründet, wohin Anhänger des Reformators Jan Hus geflüchtet waren.

Tee mit viel Zucker

Den ersten Kurs gab Kronbach-Haas in der reformierten Kirchgemeinde Bümpliz. Seit fünf Jahren findet er im Berner Haus der Religionen statt, wo die Kinder- und Erwachsenenbildnerin viele Projekte entwickelt hat. Neben den Kursen kreiert sie jedes Jahr einen neuen Stern für ihr Zuhause. «Diese Tradition gehört seit meinen Kindheitstagen zum Jahresverlauf», sagt die Herrnhuterin.

Sie ist im Schwarzwaldkurort Königsfeld aufgewachsen. Eines der Zentren der Herrnhuter Brüdergemeine. Mit dem Ritual, am ersten Advent einen Stern in die Kirche zu bringen, geht ein Liedergottesdienst einher. «Diesen liebte ich als Kind, weil es Rosinenbrötchen und Tee mit viel Zucker gab.» Zu Hause war Zucker im Tee tabu. Kronbach-Haas lacht jetzt herzlich. 

Es war in solchen Gottesdiensten, in denen Herrnhuter aus aller Welt von ihrer Heimat erzählten und Kronbach-Haas den Geschichten fasziniert zuhörte. «Wegen dieser Weltoffenheit hat mich die religiöse Tradition niemals eingeengt», erklärt die Tochter eines Schuhmachers und einer Handweberin, die ein offenes Haus führten, wo Fremde immer ein Bett fanden. 

Die neunfache Grossmutter arbeitet gerne mit den Händen. Egal, ob bei ihrer Arbeit mit Geflüchteten, mit denen sie Gemüse- und Blumengärten bebaut, oder eben beim kreativen Tun mit Karton und Schere. Dabei muss nicht immer alles den Konventionen entsprechen. So erschafft Kronbach-Haas gerne Sterne, die vom patentierten Herrnhuter Modell mit den 26 Zacken abweichen. Sie ändert Papierart und Farben, variiert mit der Anzahl Zacken und deren Länge und lässt dabei ihrer Fantasie freien Lauf. 

Die grosse Hoffnung

Obwohl ihre Sterne manchmal von der klassischen Vorlage abweichen, sind die Gedanken dahinter doch dieselben: «Wir machen etwas gemeinsam, zusammen, was Freude bereitet», sagt Kronbach-Haas. Für die passionierte Gärtnerin haben die Herrnhuter Sterne neben dem Spass und dem wohltuenden Licht in der dunklen Jahreszeit stets auch eine spirituelle Dimension: «Der Stern führt uns nicht in die Sentimentalität, vielmehr leuchtet er weltweit für die gemeinsame Verantwortung, die wir für Mitmenschen und die Schöpfung tragen.»

Der traditionelle Stern symbolisiert für Friederike Kronbach-Haas die Hoffnung auf eine gerechtere Welt, in der nicht Reich über Arm, Gross über Klein herrscht. «Ohne diese Hoffnung wären wir ärmer als jeder Wurm im Staub», zitiert sie den deutschen Schriftsteller Rudolf Hagelstange.