Alfred Hartl steht in der Ausstellung zwischen seinen geliebten Krippen. Zu jeder von ihnen hätte er eine Geschichte zu erzählen, doch es sind 600 aus 80 Ländern. Maria und Josef sehen oft ganz anders aus als hierzulande gewohnt. Sie sind Einheimische in ihrer Landschaft, mit für uns exotischen Tieren.
Für den Theologen und Sozialpädagogen ist klar: Krippen werden von den Kirchen völlig unterschätzt. Denn sie sind nicht nur bedeutsame Zeugnisse der Universalität des Christentums, der Volkskunst und Volksfrömmigkeit. Sie tragen auch eine radikale Botschaft in sich: «Gott wird Mensch an Weihnachten und sagt damit Ja zu mir.» Das gebe jedem Leben tiefsten Sinn, auch jenem der Unterdrückten, Geschundenen, Ausgeschlossenen.
Lange Zeit war Hartl im Ökumenereferat der deutschen Bischofskonferenz tätig. Er wurde nicht glücklich dabei. «Die Kirchen streiten um Unnötiges und vergessen das Wesentliche, die Botschaft Jesu, die sie alle einen sollte, gerade in einer religionsfernen Zeit.»
Das Staunen des Kindes
Seit er sich erinnern kann, begleiten ihn die Darstellungen der Heiligen Nacht. Schon sein Urgrossvater sammelte Krippen in Oberbayern, dann sein Grossvater. Oft waren es Dankesgaben aus Missionsprojekten, die sie unterstützten.
Das Herzstück der Familienkrippe, der Stall, stammt vom Grossvater. Er hat sie mit Insassen des Konzentrationslagers Bernau, das ein Vorposten von Dachau war, aus Barackenholz gefertigt, mit Figuren aus den kargen Brotrationen. Der Grossvater nahm sie mit auf seinen Todesmarsch ins Vernichtungslager, wo zu seinem Glück soeben die Amerikaner angekommen waren.
Das «Vergehen», das ihn ins KZ gebracht hatte: Er trug das örtliche Pfarreiblatt aus. Bei seiner Rückkehr war der Gauleiter, der sein Todesurteil unterschrieben hatte, wieder Bürgermeister des Dorfes.
«Meine Krippenliebe ist wohl genetisch bedingt», sagt Hartl. Seine früheste Erinnerung ist, wie der Grossvater ihn auf dem Arm hält und ihm die Krippe erklärt. Beim Erzählen davon schwingt das Staunen des Kindes mit, dass Fuchs und Gans einträchtig zur Krippe gehen. Diese Tiere kannte er vom Dorf. Es hätten auch Löwe und Lamm sein können, wie in den biblischen Prophezeiungen von der Endzeit.
Man könne über so Geschichten lächeln, sagt er. Sie seien so ja auch nicht wahr, aber ihre Botschaft umso wunderbarer. «Wenn man von diesem Versprechen schon als Kind erfährt, verlischt die Hoffnung darauf nie mehr ganz, trotz aller Schicksalsschläge, die man erlebt.»
Leid und Fröhlichkeit
Schwere Schicksale stehen auch hinter vielen Krippen, die man im Museum in Stein am Rhein betrachten kann. Menschen aus einem Lepra-Ghetto schufen Krippenfiguren ohne Arme oder Beine. In einer anderen Szenerie sind Maria, Josef und Jesus auf einem Sklavenschiff. Gefängnisinsassinnen in Kenia fertigten Figuren aus traditionellen Stoffen, aber keine einzige männliche.
Bunt sind auch die Figuren einer in Mali gefertigten Krippe aus Insektizidspraydosen, die der Westen in Afrika entsorgte. Eine Maria mit abgehackter Hand wiederum zeugt vom Terror der islamistischen Boko Haram im Tschadbecken.
Leid und Fröhlichkeit sind nah beieinander im Museum, das Hartl 2011 mit dem befreundeten Schweizer Ehepaar Amrein eingerichtet hat. Der Schatz ist gross. Denn im Depot warten noch weitere 2500 Krippen auf einen Auftritt.
Hartl zeigt auf eine peruanische Krippe: «Schauen Sie, wie herzerwärmend: Maria küsst Josef, denn wenn man sich liebt, tut man das.» Doch jetzt muss er sich losreissen. Das Museum führt auch ein Bistro. Ein Weihnachtsessen für eine Besuchergruppe am Abend ist angesagt. Der Hobbykoch hat sich viel vorgenommen.
