Porträt 13. April 2022, von Sandra Hohendahl-Tesch

Mit dem Gebet die Welt verändern

Spiritualität

Johanna Huber betet jede Woche in einer Kirche für den Frieden. Zu resignieren ist für die Musikerin und Psychologin keine Option.

Leer ist der Kirchenraum. Ins Auge stechen drei Reliefs an der Wand: Bibel, Abendmahlbrot und Taube. Künstlerische Elemente, die dem nüchternen Bau aus den 50er-Jahren doch noch etwas Sakrales verleihen. «Ich mag diese Symbole», sagt Johanna Huber. «Für die einen ist die Taube der Heilige Geist, für mich eine Friedenstaube.» 

Die Interpretation passt zu ihr, die hier ist, um für den Frieden zu beten. Johanna Huber zündet drei Kerzen an, die vor ihr auf einem kleinen Tisch stehen. Sie faltet die Hände. Mit geschlossenen Augen, leiser, doch kräftiger Stimme bittet sie um Frieden. Für die Welt, für die Ukraine, die Menschen, die im Krieg unfassbarem Leid ausgesetzt sind. 

Freilich könnte Johanna Huber auch bei sich zu Hause beten. In der Wohnung in Wipkingen mit den vielen Bildern an den Wänden. Sie liebe Kunst, sei mit einem Künstler verheiratet gewesen, hat sie bei einem früheren Treffen erzählt.  

Besuch bei Pfarrer Samuel Zahn und Johanna Huber beim ökume­nischen Friedensgebet:

Mit sich selbst im Reinen

Aber hier, in der Kirche Letten im Kreis 6, habe das Gebet mehr Gewicht. Sie unternehme etwas gegen die Ohnmacht, die einen angesichts von Krieg und Elend manchmal überkomme. «Das kollektive Gebet, gute Gedanken können die Welt verändern», ist sie überzeugt. Darum nimmt sie am ökumenischen Friedensgebet teil, das Pfarrer Samuel Zahn vor 20 Jahren ins Leben gerufen hat. Jeden Mittwoch, 18.30 bis 19 Uhr. Es sei denn, sie sei verhindert, was selten vorkomme.  

An diesem Tag sind die Rentnerin und der Pfarrer nur zu zweit. Sie wirken wie ein eingespieltes Team. Zwischen den Gebeten singen sie: «Dona nobis pacem».

Und wenn es nicht funktioniert und der Weltfrieden weiter entfernt scheint als je zuvor? Johanna Huber resigniert nie. «Wer betet, darf keine unmittelbare Antwort erwarten.» Vielmehr sei es eine Art Psychohygiene. Sei jemand auf dem Weg, mit sich selbst ins Reine zu kommen, strahle das dieser Mensch auch aus, sagt sie. Ihre erfüllten Augen funkeln im Kerzenlicht. 

Huber entstammt einem reformierten Elternhaus. «Ich besuchte die Sonntagsschule, betete vor dem Schlafengehen.» Später als junge Frau setzte sie sich vertieft mit ihrem Gottesbild auseinander.

Bach und der Dalai Lama

Auf eine neue Spur brachte sie ihre Klavierlehrerin am Konservatorium. Stolz spielte die angehende Pianistin eine Sonate von Beethoven. Die Lehrerin unterbrach sie und liess sie immer wieder den gleichen Ton spielen. «Bis ich ihn im Bauch spürte.» Seither meditiert Johanna Huber auf vielfältige Weise. «Auch die Musik von Bach ist Gebet.»  

Zweimal war sie in Dharamsala, Indien, um den Dalai Lama zu besuchen. Zu Hause ist sie in der christlichen Mystik. Die Schönheit der Sprache fasziniert sie. Auch der islamische Sufismus hat es ihr angetan.

Johanna Huber studierte nach der Musikakademie Psychologie. Stets suchte sie nach dem Verbindenden zwischen Menschen und Religionen. Mit Freunden gründete sie in Zürich 1988 einen Raum für interreligiöse Begegnungen. «Oben war meine Praxis, unten kamen Juden, Christen, Muslime sowie Buddhisten ins Gespräch miteinander, hielten ihre Andachten.» 

Aber es gehe hier nicht um sie, sondern um das Gebet, sagt Johanna Huber. Sie hat die Vision, dass immer mehr Leute für den Frieden beten. Eine Revolution durch das Gebet. «Stellen Sie sich vor, alle würden um die gleiche Zeit eine Kerze anzünden – welch überwältigendes Zeichen.»