Porträt 16. Dezember 2021, von Nadja Ehrbar

Im Advent springt er als Buschauffeur ein

Adventsbus

Tobias Keller fährt in der Vorweihnachtszeit Erwachsene und Kinder durch Winterthur – eine willkommene Abwechslung zur Büroarbeit.

Er habe schwarze Blutkörperchen, sagt Tobias Keller von sich. So nennt er das, wenn jemand begeisterter Buschauffeur ist und diese Passion in die Wiege gelegt bekommen hat. Schwarz steht für den Diesel, der die Fahrzeuge oft antreibt. Doch zurzeit fährt der 34-Jährige einen elektrisch angetriebenen Oldtimer aus dem Jahr 1958: den Adventsbus in Winterthur.  

Seit 2014 nimmt der Bus in der Vorweihnachtszeit Kinder und Erwachsene auf halbstündige Gratisfahrten durch die Stadt mit. Der Verein, der den Bus betreibt, wird von der Reformierten und der Katholischen Kirche sowie der Stadt Winterthur getragen. Den Betrieb des Busses stellt das Verkehrsunternehmen Stadtbus sicher. Dieses Jahr fährt Keller den alten Trolley zum ersten Mal als Chauffeur. 

Entschleunigende Fahrt

In einer grauen Uniform sowie einer Schirmmütze der Verkehrsbetriebe Winterthur – so hiess Stadtbus früher – begrüsst Keller die Gäste schon auf dem Trottoir. Als eine junge Frau beim Einsteigen Hilfe braucht, bietet er galant seine Hand an. Nachdem alle auf ihren Holzbänken Platz genommen haben, setzt er sich in die Führerkabine und drückt behutsam aufs Fahrpedal. Der Oldtimer reagiert langsamer als ein moderner Autobus. Keller muss darum noch vorausschauender fahren. «Der Berufsstolz verlangt, dass es beim Fahren nicht ruckt», sagt er. Fährt er über eine Unebenheit, dann wippt er in seinem Sitz auf und ab. 

Es ist schön, wenn ich im Advent anderen eine Freude machen kann.
Tobias Keller, Stadtbus-Angestellter

Keller ist von Beruf gar nicht Chauffeur. Der gelernte Polymechaniker aus Niederwil bei Gossau SG arbeitet zwar seit vier Jahren bei Stadtbus, er schreibt jedoch im Büro Fahrpläne. Nur wenn gerade Not an Fahrern herrscht, setzt er sich selbst hinters Steuer. Dafür hat er vorgängig die Trolleybusprüfung ablegen müssen. «Es ist schön, wenn ich im Advent anderen eine Freude machen kann.» 

Die Fahrten wirkten in der hektischen Zeit nicht nur auf ihn, sondern auch auf die Fahrgäste entschleunigend. Kürzlich habe sich ein Mann daran erinnert, wie er als Kind mit dem Bus in die Schule gefahren sei, erzählt Keller. 

Im Gelenkteil des Gefährts, das mit goldenen Sternen und roten Tüchern dekoriert ist, sitzt eine Freiwillige auf einem Stuhl und liest -eine Geschichte vor. Im hinteren Teil spielt ein Musiker auf dem Akkordeon. Die Fahrgäste lauschen zuerst den Klängen, dann den Worten. Viele lächeln. Plötzlich muss Keller an einer Kreuzung etwas stärker aufs Bremspedal treten. Der Bus gibt ein stampfendes Geräusch von sich und rumpelt, doch weder die Kinder noch die Eltern lassen sich davon stören.

Drei Postautos in der Garage

Dass ausgerechnet Keller den Adventsbus fährt, kommt nicht von ungefähr. Bei ihm zu Hause stehen drei alte Postautos in der Garage. Eines davon hat den gleichen Jahrgang wie der Adventsbus. Sein Grossvater betrieb einst eine Postautolinie, und der Vater, ebenfalls ein Chauffeur, kaufte sich die Fahrzeuge aus Liebhaberei.

Ein Bus sollte das Erste sein, womit der Kleine fährt.

Mit ihm fährt Keller in der Freizeit an Anlässen wie Hochzeiten und Geburtstagen. Und sei einmal etwas an den Fahrzeugen defekt, «dann flicke ich das gleich selbst», sagt Keller. Das Wissen habe er sich von einem pensionierten Automechaniker angeeignet. Als vor 15 Monaten sein Sohn zur Welt kam, holte er ihn und seine Frau mit dem Postauto vom Spital ab. «Ein Bus sollte das Erste sein, womit der Kleine fährt», sagt Keller.