Das drohende Schmettern der Endzeit
Im Internet kursieren zahlreiche Videos mit seltsamen Tönen, die aus dem Himmel zu kommen scheinen. In manchen Kreisen glaubt man die Posaunen des Jüngsten Gerichts zu hören.
Das hochformatige Handyvideo zeigt von einem Balkon aus die Dächer eines ruhigen Wohnquartiers in Bremen. Der Himmel ist grau bewölkt. Das Land ist weit und flach, am Horizont breitet sich Wald aus. Dem Filmer geht es aber nicht um dieses Panorama. Sondern um ein akustisches Phänomen. Während knapp vier Minuten ertönt im Freien ein seltsamer Ton wie von einer Schiffsirene oder einem urweltlichen Ungeheuer, ein ununterbrochenes Summen, Heulen und Röhren, dissonant, dominierend und unheimlich.
Das siebte Siegel
«Was ist das denn?», fragt sich der anonyme Filmer aus dem Off. Dann: «Eigenartig. Was sind das für komische Himmelstrompeten? Alter, was ist das? Krasse Scheisse!» Während das Video seinen Lauf nimmt, lässt sich auf eingeblendeten kurzen Textpassagen lesen, dass im Internet viele Videos mit den «Himmelsposaunen» oder «Himmelstrompeten» kursierten. Das Phänomen sei aber schon viel länger bekannt. Erste Berichte stammten von 1824. Da verschiedene Ursachen in Frage kämen, sei eine schlüssige Erklärung schwierig.
In den Publikumskommentaren zum Video wird schnell klar, dass diese Klänge – ob sie nun echt oder gefakt sind – für manche Menschen eine religiöse Dimension haben. «Himmelsposaunen. Das 7. Siegel ist eröffnet», schreibt jemand mit Bezug auf die Bibel. Jemand anderes verweist ebenfalls auf die Bibel: «Was du hier aufgenommen hast, zeigt genau das, was in der Bibel steht. Jesus spricht in seiner Endzeitrede im Lukasevangelium Kapitel 21 Vers 11: ‹Es wird schwere Erdbeben geben und in vielen Teilen der Welt Hungersnöte und Seuchen. Furchtbare Dinge geschehen, und am Himmel werden gewaltige Zeichen zu sehen sein.›» Ein dritter Kommentar prophezeit: «Jesus Christus kommt bald, kehrt um zu Jesus Christus, nehmt ihn an von ganzem Herzen als euren Retter, (...) die Zeit ist nahe, amen.»
Meteoriten, Insekten, Massaker
In der Tat sind im Netz zahlreiche Videos mit den seltsamen Geräuschen zu finden, besonders viele im angelsächsischen Raum. Und immer wieder sind Kommentare zu lesen, die das Phänomen mit der Bibel und der jüdisch-christlichen Glaubenswelt in Verbindung bringen.
Das kommt nicht von ungefähr. Schliesslich ist in der Bibel von besonders kraftvollen Posaunen die Rede. Einmal im Buch Josua, wo erzählt wird, wie die wehrhafte Stadt Jericho von den Israeliten allein durch das Blasen der priesterlichen Posaunen zu Fall gebracht wird. Und mehrmals in der Offenbarung des Johannes, in der sieben Engel die Posaune blasen und mit diesem Signal jedes Mal neue endzeitliche Katastrophen in Gang setzen, von abstürzenden Meteoriten über giftige Insekten bis hin zu einem gewaltigen Heer, das unter den Menschen wütet.
Kein Wetterphänomen
Ein Summen, das aus dem Himmel zu kommen scheint und auf Videos dokumentiert wird; dazu Leute, die das Geräusch biblisch, esoterisch oder ufologisch deuten: Die perfekten Zutaten für einen Internet-Mystery-Hype. Grundsätzlich gilt aber auch für Mysteriöses: Zuerst muss nach einer rationalen Ursache gesucht werden. Im Fall der Himmelstrompeten kommen zum Beispiel durch den Wind herangetragene Industrie- oder Baustellengeräusche in Frage. Aber natürlich auch Töne, die zum Zweck einer bewussten Irreführung künstlich erzeugt und im Internet verbreitet werden.
Kaum in Betracht kommen dagegen spezielle Wetterlagen und atmosphärische Besonderheiten. Dazu Jan Eitel vom SRF-Meteo-Team: «Wir können uns diese Himmelsgeräusche aus meteorologischer Sicht nicht erklären. Gewittergrollen in weiter Ferne tönt anders. Wir gehen eher von einer Verschwörungstheorie aus.» Dabei verweist er auf das Wissenschaftsmagazin Galileo von Pro7. Dort hat ein Team die Himmelsposaunen nachgestellt, damit je ein Quartier in drei deutschen Städten beschallt, vor Ort Handyaufnahmen gemacht, das Ergebnis ins Internet eingespeist und dann beobachtet, wie sich die Videos viral verbreiteten. Die «mysteriösen» Himmelsposaunen schafften es sogar in überregionale Zeitungen.
Die Sendung dazu ist hier auf dem Kanal von Galileo zu sehen.
Wie aber kommt es, dass Teile des Publikums auch in unserer rational geprägten Zeit geneigt sind, solche Videos nicht nur für bare Münze zu nehmen, sondern auch biblisch und endzeitlich zu deuten?
Irritation wegen Corona
Apokalyptisch interpretiert werde das Phänomen am fundamentalistischen Rand der Freikirchenszene, wo man seit Jahrzehnten im täglichen Geschehen nach Hinweisen auf die biblisch angekündigte Endzeit suche. Das sagt Georg O. Schmid von Relinfo, der Evangelischen Informationsstelle für Kirchen, Sekten und Religionen. «Aktuell sind diese Kreise etwas irritiert, dass die Corona-Krise abklingt, ohne dass sie in die Entrückung oder den Aufstieg des Antichristen gemündet wäre.» In diesem Kontext sei die Suche nach alternativen Hinweisen auf die Nähe des Endes besonders attraktiv.
Auch nichtreligiöse, säkular orientierte Menschen haben aber ein offenkundiges Interesse am Geheimnisvollen, an rätselhaften Beobachtungen. Vielleicht zeige sich darin der unausgesprochene Wunsch nach einem «Mehr», das über die rationale Erklärbarkeit hinausgehe, mutmasst Schmid. Im Moment scheine sich die Diskussion gerade über die Himmelsposaunen aber vor allem zwischen endzeitlich orientierten fundamentalistisch-christlichen Menschen und ihren Gegnern abzuspielen.