Recherche 12. Oktober 2015, von Rita Jost

Ein Preis für gute Willkommenskultur

Asylpolitik

Im Berner Dorf Riggisberg engagieren sich Freiwillige vorbildlich im Durchgangsheim – und erhalten dafür jetzt den Sozialpreis von AvenirSocial.

Pfarrer Daniel Winkler ist Realist. Was in seiner Gemeinde seit einem Jahr passiert, ist alles andere als selbstverständlich. In dem eher ländlichen Dorf mit gerade mal 2500 Einwohnern leben in einer Zivilschutzanlage 150 Asylsuchende. Und bisher geht das nicht nur erstaunlich gut. Das Dorf ist an dieser Aufgabe sogar gewachsen. Und zusammengewachsen.

 

Freiwillige Helfer. Natürlich gibt es auch in Riggisberg Leute, die sich beklagen. Alteingesessene, die finden, die Flüchtlinge bringen nur Unruhe ins Dorf. Die sagen, es sei nicht alles nur eitel Sonnenschein, Konflikte würden bloss totgeschwiegen, die Bewohner der Zivilschutzanlage würden kiffend herumlungern, die Nachtruhe stören, die Dorfbewohner belästigen. Aber bisher ist diese Gegnerschaft zahlenmässig eine Randerscheinung geblieben.

Der weitaus grösste Teil der Dorfbevölkerung steht den Flüchtlingen im Zentrum hilfsbereit und interessiert gegenüber. Gegen 50 Personen sind sogar sehr konkret als Freiwillige in die Betreuung eingebunden. Sei es als Personal im Kafi Rägeboge, dem wöchentlichen Treffpunkt für die Asylsuchenden, sei es als Begleiterinnen auf Ausflügen, Organisatoren von Sportanlässen und Helferinnen bei Näh- und Flicknachmittagen.

Eine mitziehende Gemeinde. Daniel Winkler weiss genau, ohne diese Leute ginge es nicht. Und genauso wenig ginge es ohne eine mitziehende politische Gemeinde und ohne einen aufgeschlossenen Kirchgemeinderat. Und es ginge auch nicht ohne eine offene Informationspolitik. Als es einmal bei einer Neueinquartierung zu einer Schlägerei zwischen «alten» und «neuen» Bewohnern kam, griff Pfarrer Winkler in die Tasten und informierte auf der Gemeindeseite von «reformiert.», was genau passiert ist und wie man das Problem behoben habe.

Ganz wichtig sei auch die Website riggi-asyl.ch. Auf dieser professionell gemachten Plattform wird nicht nur informiert, was im Zentrum auf dem Programm steht, hier kann man auch Fotos von selbst initiierten Fussballturnieren anschauen; hier gibt es sogar Berichte, die die Flüchtlinge selber verfasst haben oder TV-Beiträge – wie jenen über den Besuch des Gesamtbundesrats im letzten Sommer.

Eine vielversprechende Zukunft. Ende Jahr läuft das Projekt Durchgangszentrum Riggisberg aus. So war es von Anfang an geplant. Und so wird es auch geschehen. Aber für das Dorf und für einige der Betreuten geht es trotzdem weiter. Einige der Flüchtlinge haben unterdessen eine Arbeit im Dorf gefunden. Einige wohnen auch – lose betreut von Dorfbewohnerinnen – selbständig in der Gemeinde. Und einige der ehemaligen Riggisberger Zentrumsbewohner sind unterdessen weitergezogen und betätigen sich in anderen Zentren als «Lehrmeister». Sie geben an Neuankömmlinge weiter, was sie in Riggisberg gelernt haben.

Denn – so Pfarrer Winkler – das sei ein weiterer wichtiger Baustein gewesen im Erfolgsprojekt. «Wir haben immer Wert darauf gelegt, den Flüchtlingen unsere Regelstrukturen beizubringen». Als langjähriger Dorfpfarrer weiss er, wie wichtig es ist, dass die Alteingesessenen nicht vor den Kopf gestossen werden. Sei es durch ungebührliches Verhalten der Zentrumsbewohner oder unreflektiertes Verhalten. «Wenn wir etwas nicht brauchen können, dann ist es eine schlechte Presse. Das haben wir ihnen erfolgreich eingebläut».

Und so sind in Riggisberg in den letzten Monaten Freundschaften entstanden, die niemand für möglich gehalten hätte. «Wir haben auf beiden Seiten viel gelernt,» fasst Daniel Winkler die Erfahrungen zusammen. Und betont, dass auch die Kirchenleute wichtige Erfahrungen gemacht hätten. Nicht zuletzt durch die gute Zusammenarbeit mit den Freikirchen, die sich ebenfalls eingebracht haben.

Und was passiert jetzt mit den in Aussicht gestellten 1500 Franken, die es am 16. Oktober als Lohn für das ungewöhnliche Engagement gibt? Man wisse es noch nicht, sagt Winkler. Er könne sich aber vorstellen, dass sie eingesetzt würden für Deutschkurse. Auf dass die Verständigung in Zukunft noch besser klappt.

Zur Website riggi-asyl.ch

(Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».)